Bildende Kunst Buchstabensalat als sinnliche Erfahrung

Hamburg · Einmal von vorne bis hinten durchdekliniert: Die Ausstellung „Art and Alphabet“ in der Hamburger Kunsthalle untersucht jetzt das Wechselspiel von Schrift und Bild und will alle Sinne ansprechen.

 Da ist Musik drin: Janice Kerbels Arbeit „Score“ besteht aus insgesamt neun Siebdrucken auf Papier, in denen sie Tonreihen mit konventioneller Typografie sichtbar machen will.

Da ist Musik drin: Janice Kerbels Arbeit „Score“ besteht aus insgesamt neun Siebdrucken auf Papier, in denen sie Tonreihen mit konventioneller Typografie sichtbar machen will.

Foto: Courtesy of greengrassi, London; Catriona Jeffries Gallery, Vancouver Foto: SITE photography

Blixa Bargeld, der Sänger der Band Einstürzende Neubauten, rezitiert in einer Soundinstallation von Ignazio Uriarte 30 Minuten lang die Buchstabenfolge einer mechanischen Schreibmaschine. Die Arbeit – immer wieder unterbrochen vom typischen Ritsch-Ratsch-Geräusch des Zeilenschalthebels – kommt einer Hommage ans Analogzeitalter gleich. Martha Rosler, Konzeptkünstlerin aus New York, präsentiert in ihrem legendären Video „Semiotics of the Kitchen“ (1975) in alphabetischer Reihenfolge ganz ordinäre Haushaltsgeräte und zeigt gleichzeitig – mit feministischer Verve – wie sich diese zu Waffen transformieren lassen. Die walisische Künstlerin Bethan Huws präsentiert in ihren industriell gefertigten Wortvitrinen mit Steckbuchstaben Liebesbriefe der intellektuellen Art. Willkommen in der Ausstellung „Art and Alphabet“, die zurzeit in der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle gezeigt wird.

Kuratorin Brigitte Kölle hat 22 Künstlerinnen und Künstler aus 15 Nationen nach Hamburg eingeladen, sich mit Zeichensystemen, Buchstaben, Wörtern, Schriften und Texten auseinanderzusetzen. Die Ergebnisse ihrer Recherche präsentiert sie auf gleich zwei Etagen. Ob ein babylonisches Sprachgewirr bei Mekhitar Garabedian, einem Syrer mit armenischen Wurzeln, der 38 Lautsprecherboxen im Raum verteilt hat, aus denen die Buchstabenlaute des armenischen Alphabets erklingen. Oder eine poetisch-konzeptuelle Annäherung an das Thema von Natalie Czech, die in Prosatexten bekannte Gedichte zum Vorschein bringt und so eine zweite Bedeutungsebene schafft. Sinnliche Zeichensprache dann auch bei der Brasilianerin Rivane Neuenschwander, die minimalistische Papierarbeiten zeigt, die aus pulverisierten Gewürzen und Kräutern bestehen und entsprechend den Anfangsbuchstaben alphabetisch geordnet sind.

„Es ist keine Ausstellung, die theoretisch funktioniert, sondern vor allem die Sinne anspricht und einige Überraschungen bereit hält“, erläutert Brigitte Kölle. Das Wechselverhältnis von Schrift und Bild wird auf allen Ebenen und in allen Medien untersucht: John Baldessari erklärt einer Topfpflanze das Alphabet, Michael Bauch hat einen „Buchstabenzirkus“ aufgebaut, der sich aus den monochrom lackierten Metalllettern einer aufgegebenen Autowaschanlage zusammensetzt, und die Polin Paulina Olowska hat in einer cool-ironischen Performance im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) auf Zuruf des Publikums mit dem Körper Buchstaben geformt. Ihre Fotografien schmücken auch das Plakat zur Ausstellung.

Die in Berlin und Istanbul lebende türkische Künstlerin Ayse Erkmen hat einen eigenen Schriftsatz entwickelt, der nur aus den Sonderzeichen der Tastatur besteht. Diese eigentümlich kryptisch wirkende Schrift präsentiert sie jetzt auf einer Wand, und zwar in Form des Satzes „The quick brown fox jumps over the lazy dog“. Dieser Nonsens-Satz wird gerne von Werbegrafikern verwendet, da in ihm alle Buchstaben des lateinischen Alphabets vorkommen. Die Arbeit trägt den Titel „Typed Types“ und stammt ursprünglich aus dem Jahr 2002.

Ob lateinisch, kyrillisch, hebräisch, arabisch oder japanisch: Die Ausstellung „Art and Alphabet“ hält eine Vielzahl von Zeichensystemen bereit, die oft ganz eigenen, künstlerischen Denkweisen folgen. Konkrete Poesie trifft auf selbst kreierte Zeichensysteme, Buchstabensalat und Kritzeleien auf klassische Gebärdensprache. Die vielschichtige Hamburger Ausstellung will alle Sinne ansprechen. Schade nur, dass die Hamburger Kunsthalle zu dieser Ausstellung nur einen vergleichsweise mickrigen Reader mit Kurztexten herausgibt. Ein ausführlicher Katalog zu diesem bisher selten dargestellten Thema hätte so etwas wie ein Standardwerk werden können.

 Paulina Olowska formt Buchstaben mit ihrem Körper in einer Performance, die auf 26 farbigen Karten dokumentiert ist (2005).

Paulina Olowska formt Buchstaben mit ihrem Körper in einer Performance, die auf 26 farbigen Karten dokumentiert ist (2005).

Foto: Courtesy Galerie Buchholz, Berlin / Cologne / New York

Die Ausstellung „Art and Alphabet“ läuft bis 29. Oktober in der Hamburger „Galerie der Gegenwart“. Gezeigt werden 22 internationale Positionen. Geöffnet Dienstag bis Sonntag: 10-18 Uhr, donnerstags 10-21 Uhr.

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