Buchhandel-Friedenspreis an Sebastião Salgado Schwarzweiße Schicksalsblicke

Frankfurt · Zum ersten Mal erhält ein Fotograf den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Der Brasilianer Sebastião Salgado wird gefeiert – aber nicht von Jedem.

 Eine blinde Tuareg-Frau – ein Bild von Sebastiao Salgado aus Wim Wenders’ Film „Das Salz der Erde“.  

Eine blinde Tuareg-Frau – ein Bild von Sebastiao Salgado aus Wim Wenders’ Film „Das Salz der Erde“.  

Foto: ¬© Sebastia£o SALGADO/Amazonas

Er ist der wohl berühmteste und meistdiskutierte Fotograf der Gegenwart, gepriesen und kritisiert. Der 75-jährige Sebastião Salgado erhält in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, dotiert mit 25 000 Euro. Verliehen wird er am 20. Oktober in der Frankfurter Paulskirche. Salgado sensibilisiere für das Schicksal von Arbeitern und Migranten und für die Lebensbedingungen indigener Völker, begründet der Stiftungsrat des Deutschen Buchhandels seine Entscheidung. 2013 hat Salgado sein ambitioniertestes Projekt vollendet: „Genesis“ (Schöpfung). Es zeigt, wie die Welt aussah, bevor der Zerstörungsprozess durch die Industrialisierung begann.

Der 1944 in der brasilianischen Stadt Aimorés geborene Salgado studierte zunächst Wirtschaftswissenschaft. 1969 emigrierte er mit seiner Frau nach Paris, das Paar hatte sich gegen die Militärdiktatur in Brasilien engagiert. Als Angestellter der „International Coffee Organisation“ in London kam er häufig nach Afrika und begann als Autodidakt zu fotografieren. Ab 1973 wurde daraus sein Beruf. Seitdem hat er die Welt bereist und eine Unzahl brillanter Schwarz-Weiß-Fotografien mitgebracht, die Farbe liegt ihm nicht. 1979 bis 1994 war er Mitglied der legendären Fotoagentur Magnum. Salgado lebt in Paris.

      Sebastião Salgado bei einer Ausstellung zu seinem Projekt „Genesis“.

Sebastião Salgado bei einer Ausstellung zu seinem Projekt „Genesis“.

Foto: dpa/Maurizio Gambarini

Nie hat er Prominente aufgenommen. Was ihn interessierte, waren Zuckerrohrarbeiter in Kuba, Fischer am Mittelmeer, Arbeiter in Bangladesch, die Schiffe abwracken, Schwefelsammler in Indonesien, Goldgräber in Brasilien, aber auch die Männer, die nach dem Golfkrieg die Ölquellen in Kuwait wieder verschlossen. Salgado gilt als Anwalt der Unterdrückten, Entrechteten, Ausgebeuteten, und der Aufruf zu mehr Gerechtigkeit war auch die erste Botschaft seiner Bilder.

Aber er vertraute oft zu wenig dem, was zu sehen war: Er flüchtete sich in eine extreme Inszenierung und Stilisierung. Wie ein Maler spielte er mit Hell und Dunkel, wurde auch der „Rembrandt der Fotografie“ genannt. Auf seinen Bildern wurden die Armen, die von ihrer noch vorindustriellen Arbeit restlos Erschöpften, zu Hollywood-Heldenfiguren – so 1993 im Bildband „Workers – Arbeiter“.

Ambivalent wurden auch Aufnahmen von Flüchtlingen in der Ausstellung „Exodus“ aufgenommen. Die „tageszeitung“ (taz) vermisste in den Bildern Hinweise auf die Fluchtursachen: „Zwischen hunderten Schwarz-Weiß-Bildern kann man nur raten, in welcher schrecklichen Ecke der Welt man sich befindet.“ Aber Salgado hat sich verändert. In den Aufnahmen seit Mitte der 90er Jahre wird er seinem Ruf als engagierter Fotokünstler gerecht. Im Band „Terra“ (1997), den Landarbeitern in Brasilien gewidmet, berühren die vielen stillen Aufnahmen: Kinder beim Spiel oder traurig in die Kamera blickende Alte, von Arbeit und Armut gezeichnet.

Für sein Projekt „Migranten“ (2000) bereiste Salgado sechs Jahre lang Krisenregionen. Flüchtlinge im Kosovo, in Tansania oder den Palästinensergebieten, Waisenkinder im Kongo oder Obdachlose überall – auf all diese Menschen ließ Salgado sich ein, er nahm sie ernst als Partner seiner Kunst.

Das „Genesis“-Projekt, sein bedeutendstes Werk, ist fast schon ein Vermächtnis. Die Bilder erwecken biblische Assoziationen. Die Meere und die Wüsten, die Arktis und der Amazonas, die Seelöwen, die Rentiere – Salgado inszeniert die Natur, wo sie noch nicht zerstört ist, in eindringlichen, meisterhaften Aufnahmen. Seine Bilder sind ein Appell, die ursprüngliche Natur zu bewahren.

„Das Salz der Erde“, ein Film von Wim Wenders, fasst Leben und Werk Salgados in großartiger Weise zusammen. Deutlich wird: Die Kunst des Fotografen hatte immer einen politischen Antrieb. Salgado hat auch das als Künstler Erlebte in die Praxis umgesetzt, hat in Brasilien für die Wiederaufforstung einer schon zerstörten Region gesorgt.

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