Brücken baut man nicht in zwei akademischen Stündchen

Saarbrücken · Besiegelte die aus dem Ruder gelaufene Diskussion am Donnerstag das Scheitern der hehren „Denk raumwochen“ in der Experimentierbühne Sparte 4? Zwei Syrer im Publikum mit provokanten Positionen reichten jedenfalls aus, um die Grenzen dessen zu zeigen, was dort unternommen wird.

Um die Frage, wie die Historie unsere Vorstellungen von gesellschaftlichem Zusammenleben in der westlichen und der islamischen Kultur (mentalitätsgeschichtlich sehr differierend) prägt, sollte es am Donnerstagabend in der Sparte 4 gehen. Einen "kulturwissenschaftlichen Abend" kündigte der Saarbrücker Germanist Johannes Birgfeld an, der quasi Referent und Moderator in Personalunion war. Und dieses gewaltige Thema vor lichten Publikumsreihen mit dem Geschäftsführer des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa, Jörn Thielmann, zu erörtern suchte.

Eine geschlagene gute Stunde später, in der der Abend seine erwartbare, allzu akademische Richtung eingeschlagen hatte, ohne das von Thielmann erwähnte Koran-Selbstverständnis als "Vervollkommnung von Religion" in seinen Auswirkungen vertieft zu haben, kam ein berechtigter Zwischenruf aus dem Publikum: Dass der Westen, dessen Aufklärung mit der Kolonialgeschichte (wie zuvor von Thielmann erörtert) untrennbar verbunden sei, eine "historische Bringschuld" habe, sei evident. Man solle aber bitte auch diskutieren, welche Konsequenzen dies für die kulturelle Differenz westlicher und islamischer Gesellschaften habe. Thielmann antwortete, kulturelle Differenzen seien durch Klassenzugehörigkeit (und damit auch durch das jeweilige Bildungsniveau) bestimmt. Wobei beide Kulturen heute mehr verbinde, "als wir wahrhaben wollen". Unsere Gesellschaft sei längst derart heterogen, dass die Frage, woran Flüchtlinge sich anpassen sollten, für Thielmann obsolet geworden ist: "Sollen sie sich etwas tätowieren oder piercen lassen?"

Woraufhin im Publikum die Frage aufgeworfen wurde, ob bestehende Ängste vor einem Scheitern der Integration nicht in einer fehlenden Säkularität des Islam begründet seien. Thielmann versuchte, argumentativ weiter Brücken zu bauen, erinnerte an die Einseitigkeit der Medien, "die im Zusammenhang mit dem Islam meist nur über Terror und Gewalt" berichteten. Als sich dann zwei Syrer zu Wort meldeten (und der über zwei Stunden lang (!) tapfer für die anwesenden Muslime dolmetschende Übersetzer kaum noch hinterher kam), kippte der Abend. Ihre Wortbeiträge, von denen in keiner Weise deutlich wurde, ob und wie repräsentativ sie für Teile der islamischen Welt sind, waren desillusionierend. Erst bezichtigten sie Birgfeld und Thielmann (zu Unrecht), das Thema eurozentristisch anzugehen und später dann der Schönfärberei. Solange Religion islamische Gesellschaften präge, sei Integration eine Illusion, meinte der eine Syrer, der sich selbst als nicht gläubig bezeichnete. Inhaltlich konsistent waren beider Einlassungen nicht, aber man verstand doch so viel, dass sie hier zu einer fundamentalen Islam-Kritik ausholten (von der Scharia über die Kopfsteuer für Nicht-Muslime bis zur Unterdrückung der Frauen). "Wir versuchen, hier Brücken zu bauen. Und ihr sagt: Tut das nicht. Das ist sehr irritierend für mich", meldete sich Sparte 4-Leiter Christoph Diem zu Wort. Islamforscher Thielmann mühte sich um Versachlichung und beteuerte, dass der Islam "nicht grundsätzlich ein Gewaltproblem hat".

Auch sei nicht jede markante kulturelle Differenz schon Vorbote eines "Clashs of Civilizations". Dahinter stehe oft auf Seiten der islamischen Welt das Empfinden, politisch und wirtschaftlich vom Westen übervorteilt zu werden. Und auch Frust ob des gescheiterten "Arabischen Frühlings".

Wer in die Sparte 4 gekommen war, "um Ängste zu verlieren", wie eine Frau ausführte, den ließ der Abend ratlos zurück. Wer, wie die Organisatoren dieser "Denkraumwochen", Brücken bauen will, muss für mehr muslimischen Sachverstand im Plenum sorgen. Einige "Quoten-Flüchtlinge" im Publikum zu haben, genügt nicht.

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