Britischer Film „Brexit“ auf DVD Der Anfang vom endlosen Abschied

Saarbrücken · Der englische Film „Brexit“ zeichnet die Kampagne für den EU-Austritt bis zum Referendum 2016 nach. Die Polit-Farce ist grandios unterhaltsam – und dabei problematisch.

  Der Brexit-Bus 2016 mit der Verheißung von viel Geld fürs Gesundheitssystem: Londons OB Boris Johnson (Richard Goulding, v. l.),   Dominic Cummings (Benedict Cumberbatch) und Justizminister Michael Gove (Oliver Maltman).

Der Brexit-Bus 2016 mit der Verheißung von viel Geld fürs Gesundheitssystem: Londons OB Boris Johnson (Richard Goulding, v. l.), Dominic Cummings (Benedict Cumberbatch) und Justizminister Michael Gove (Oliver Maltman).

Foto: Joss Barratt / Polyband/Joss Barratt

Den Stolperstein dieses Films sieht man in seinen ersten Sekunden: Einige Dialoge und Figuren seien erfunden, heißt es im Vorspann, „aus dramaturgischen Gründen“. Legitim ist das natürlich, aber es beißt sich doch etwas mit dem offensichtlichen Willen des selbstbewusst programmatisch betitelten Films, nichts als die Wahrheit zu schildern, wenn auch satirisch etwas zugespitzt. Nicht um das Polit-Gewurschtel und -Gewürge der vergangenen, in dieser Hinsicht endlos erscheinenden Monate geht es in der britischen Produktion des Senders Channel 4, sondern um die „Vote Leave“-Kampagne, die sich im Sommer 2016 als erfolgreich erwies. Im Zentrum stehen weder Boris Johnson, Nigel Farage oder der damalige Premierminister David Cameron (der bloß in einigen realen Nachrichtenausschnitten zu sehen ist), sondern der Kopf hinter der Kampagne: Dominic Cummings, parteiloser Polit-Stratege und -Berater.

Ihn spielt Benedict Cumberbatch („Sherlock“) als exzentrischen Denker, Mann der kühlen Logik und des zielgerichteten Blicks: Was der Austritt Englands aus der EU letztlich bedeuten könnte, scheint ihm weniger wichtig als das Erreichen dieses Ziels, das für ihn vor allem die Lösung eines Problems ist. In einer Abstellkammer sitzt er zusammengekauert und lauscht der offenbar verwundeten britischen Volksseele. Könnte es doch wieder so sein wie früher, als ja alles besser war, raunt sie – Cummings wendet sich in Richtung Kamera: „Jeder weiß, wer gewonnen hat“, sagt er, „aber nicht jeder weiß, wie“. Das „Wie“ erklärt uns der Film: mit sozialen Medien, Filterblasen für die sich abgehängt Fühlenden und mit „simplen Botschaften, die man immer wieder sagt, und immer wieder, und immer wieder“. Effektiver Populismus, gekrönt vom simplen, aber effektiven Slogan „Take back control“ (der ja das gute Gefühl vermittelt, man hätte jemals so etwas wie Kontrolle gehabt). Hinzu kommt das Jonglieren mit Zahlen und Fakten, die nun stimmen können oder auch nicht. Hauptsache, man betet sie lange genug herunter.

Von dieser gut bestückten Taktik erzählt der Film als flotte Farce, mit allerlei Polit-Windbeuteln auf allen Parteiseiten und mit viel Dialogwitz; wobei man sich fragen darf, ob manche humoristische Darstellung die Beteiligten nicht verharmlost: Nigel Farage ist hier nur ein etwas pompöser Gernegroß, den man belächelt – in der Realität kann man sich vor ihm gruseln. Da hat der Film seine Schwächen, ebenso, wenn er allzu symbolisch den Zeigefinger reckt und überdeutlich wird: Etwa wenn Craig Oliver, Kopf der „Remain“-Kampagne (mit integrem Ernst von Rory Kinnear gespielt) bei einer Telefonkonferenz mit Premier Cameron sich auch noch um seine drei kleinen Töchter kümmert, damit einem klar wird, dass er auf der Seite der „Guten“ steht. Filmisch interessanter ist „Brexit“ da, wo er sich ins Ambivalente bewegt: Wenn man von Cumberbatchs charismatischer Darstellung (und Cummings entwaffnender Logik) so gepackt wird, dass man als Zuschauer auf den Sieg der „Vote Leave“-Kampagne hofft – auch wenn man ansonsten im realen Leben den Brexit anders sieht.

Frei erfunden ist eine Schlüsselszene, in der sich die Kampagnen-Köpfe Cummings und Oliver in einem Restaurant treffen. Da weiß Oliver längst, dass seine altmodische Kampagne (mit Hausbesuchen, Flugblättern und Fakten) verloren hat gegen Cummings Strategie, nostalgische Hoffnungen zu schüren, gleichzeitig Ängste und Frustrationen auf die EU-Mitgliedschaft zu projizieren.

Am Ende sitzt Boris Johnson, damals noch Londoner OB (Richard Goulding ahmt seinen hektischen Halbsatz-Duktus wunderbar nach), in einer Limousine und sieht angesichts des Brexit ziemlich ratlos aus. Hatte er damit gar nicht gerechnet?

  EU-Gegner und EU-Abgeordneter Nigel Farage (Paul Ryan).

EU-Gegner und EU-Abgeordneter Nigel Farage (Paul Ryan).

Foto: Barratt / Polyband/Joss Barratt
  Der reale Dominic Cummings, zurzeit Berater von Premier Johnson.

Der reale Dominic Cummings, zurzeit Berater von Premier Johnson.

Foto: AP/Kirsty Wigglesworth

Auf DVD erschienen bei Polyband.

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