Bowies düsteres letztes Album „Blackstar“

Berlin (dpa) · Es klingt wie eine düstere Ahnung: „Blackstar“, also schwarzer Stern, heißt das letzte Album von David Bowie zu Lebzeiten. Die zum 69. Geburtstag des britischen Pop-Megastars am 8. Januar veröffentlichte Platte ist ein würdiges Vermächtnis.

Fast alle Popkritiker waren sich einig: Dieses Album kann David Bowie in eine neue Umlaufbahn seiner atemberaubenden Karriere führen - zu einem Alterswerk, in dem noch einmal mit kreativen Höhenflügen zu rechnen sei.

„Blackstar“ (Sony ) steht seit dem vergangenen Freitag - Bowies Geburtstag - weltweit in den Läden. Es ist, was noch vor wenigen Tagen kaum jemand ahnte, das musikalische Vermächtnis des mit 69 Jahren an Krebs gestorbenen Sängers und Songschreibers geworden.

Der Albumtitel bekommt nun eine fast schon unheimliche zusätzliche Bedeutung - zumal einige der sieben zwischen wuchtigem Rock und modernem Jazz oszillierenden Songs zu den düstersten, melancholischsten in Bowies Karriere gehören. Noch einmal hatte sich der ewige Klangsucher und Genre-Hopper neu erfunden, mit den wilden Saxofon-Exkursionen und verschachtelten Rhythmen einer entfesselten Band Neuland betreten.

Zur Veröffentlichung und damit auch zur Einordnung von Texten und Sounds schwieg der Meister sich im Vorfeld wieder einmal aus - doch ein Zusammenhang mit einer schweren Krankheit wurde nie hergestellt. Denn schon seit Jahren war Bowie eine Art Phantom, nachdem ihn 2003 auf einer deutschen Konzertbühne eine Herzattacke erwischt hatte. Erneut ließ Bowie in den vergangenen Wochen daher ausgewählte Mitstreiter erzählen, wie seine neue Platte zustande kam und was davon zu halten sei.

Im Falle von „Blackstar“, dessen spartanisches Cover von einem schwarzen Stern dominiert wird, waren Bowies langjähriger

Produzent Tony Visconti und erstmals Donny McCaslin als neuer

Bandleader für den PR- und Erklär-Job zuständig. Sie wussten nur Gutes über das scheue Pop-Genie und sein 25. Studioalbum seit 1967 zu berichten. Aber nichts von Krebs - das blieb ein gut gehütetes Geheimnis, wie so vieles bei Bowie in den vergangenen 50 Jahren.

Sollte man sich „Blackstar“ nun auch wegen seiner Qualität zulegen und nicht nur im Andenken an eine Pop-Ikone? Die Kritik ist sich einig: Dies ist ein großes Alterswerk, aber keine Musik für Menschen, die von Bowie nur Hits wie „Heroes“ oder „Space Oddity“ mögen. Visconti lieferte dem „Rolling Stone“ ein Schlüsselzitat: „Das Ziel war, Rock 'n' Roll unbedingt zu vermeiden.“ Und McCaslin sagte dem Magazin „Uncut“, dass Bowie „so liebenswürdig und großzügig“ gewesen sei.

Wer befürchtet hatte, das grundsolide, aber auch etwas genügsame

Comeback „The Next Day“ (2013) markiere Bowies Eintritt in die

Rocklegenden-Rente, sah sich getäuscht. Man staunt über McCaslins

ekstatische Saxofon-Soli und mutige Improvisationen der Band, die enorme Schlagzeug-Wucht von Mark Guiliani, Elektronik-Experimente und Bowies zumindest anfangs irritierende Abkehr vom klassischen Strophe/Refrain-Songformat.

Die Mission Rock-Verweigerung wurde fast schon übererfüllt. Bowies radikal neuer Sound knüpfte bei Radiohead und Massive Attack , bei Dub und Hiphop ebenso an wie bei den Artrock-Veteranen King Crimson oder dem anstrengenden Schön- bis Schrägtöner Scott Walker, einem Altersgenossen Bowies. „Blackstar“ besteht aus nur sieben meist langen Songs mit insgesamt gut 40 Minuten Spieldauer. Bowie ließ dafür seiner im New Yorker Club „55 Bar“ rekrutierten Truppe fabelhafter Jazzmusiker lange Leine und zwang seine durchaus hörbar gealterte Stimme nochmals zu einer großen Vorstellung.

Schon der fast zehnminütige Titeltrack ist als Auftakt einer für

Millionenverkäufe vorgesehenen Megastar-Platte eine (gleichwohl

spektakuläre) Zumutung: Bowie im gekünstelten Falsett, ein

hektisch-nervöser Rhythmus, wildes Sax-Gebläse, düstere Textzeilen - wenn man sich daran einigermaßen gewöhnt hat, ist noch nicht einmal die Hälfte des Songs herum, und es entsteht nach kurzer Überleitung ein neuer, ruhigerer, aber nicht weniger spannender Groove.

Man spürt auch in Stücken wie „'Tis A Pity She Was A Whore“ oder

„Sue“, wie sehr das Zusammenspiel mit jüngeren, von Rock-Dogmen

unberührten Musikern Bowie inspiriert hat. Ein Höhepunkt ist „Lazarus“ - der Brite schrieb den Song für sein gleichnamiges New Yorker Musical, das im Dezember mit dem Serienschauspieler Michael C. Hall („Dexter“) in der Hauptrolle Premiere hatte.

Bei dieser Gelegenheit trat der seit dem Herzinfarkt vor fast zwölf Jahren kaum noch präsente Bowie wieder einmal öffentlich auf - wohl zum letzten Mal. Falls Insider über eine Krankheit munkelten, dann drang dies nicht an die Öffentlichkeit. Man sah den Premierenfotos die dramatische Verschlechterung von Bowies Zustand auch nicht an - extrem schlank, asketisch und etwas wächsern wirkte er schon länger.

Mit der versöhnlichen Ballade „Dollar Days“ und dem hochkomplexen „I

Can't Give Everything Away“ endet ein Album, das von Kritikern sofort zu den besten Werken des neuen Jahres gezählt wurde - und das nun weit über 2016 hinausreichen wird. Als letzter Akkord eines fantastisches Lebenswerks. Nicht vielen Rockmusikern ist eine solche Leistung zum Schluss vergönnt.

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