Bis das Nasenbein bricht

Saarbrücken · „Hool“ ist ein starker Debütroman von Philipp Winkler, einem Fan von Hannover 96. In Rückblenden und knappen, das Tempo des Romans forcierenden Sätzen erzählt er aus der gewaltbesetzten Welt eigentlich perspektivloser Fußballfans.

Blut spritzt, "rotwurzelige Zähne" werden "ausgehustet", wenn Hannover gegen Köln gespielt hat. Egal, wie das Spiel ausging, die Führer der militanten Fangruppen treffen sich danach zur festgelegten Zeit in einem Waldstück. Auf dem Kampfplatz klären sie die Regularien, ehe sie aufeinander losdreschen. "Der Wald verstummt. Dann prallen Körper aufeinander."

Das Tempo dieses in staccatohaftem Ton verfassten Romans ist rasant und lässt bis zum Ende nicht nach. Philipp Winkler, 30, bei Hannover aufgewachsen, bringt die Welt der Hooligans nahe, der stets gewaltbereiten, ja, gewaltsüchtigen Fußballfans. Der Roman steht auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Winkler erzählt eine atemraubende Geschichte, die lehrt, was emporschießendes Adrenalin aus Menschen machen kann. Das ist nicht nur anschaulich, sondern auch authentisch. Wer bisher nicht verstehen konnte, wie bei der letzten EM wüst und vollkommen unbeherrscht britische und russische Hooligans wahllos Menschen zusammenschlugen, bekommt hier eine Art von Erklärung.

Es ist die Ehre. Es geht archaisch zu wie in alten Zeiten. Tiefe Wunden werden gerissen, Nasenbeine gebrochen, in Augen so lange geschlagen, bis sie blind werden. Die Gewaltorgie lässt Bluttümpel, zerfetzte Klamotten und einige Männer zurück, die danach "Krüppel" sind. Oder tot wie der Freund des Ich-Erzählers Heiko Kolbe, der nur eine Sekunde nicht aufgepasst hat oder sich nicht schützen konnte. Nun liegt er da, aufgebahrt, Heiko schaut ihn lange an, will bleiben, bis sich der Freund zu Staub auflöst. "Und dann würde ich ihn einatmen. Nicht so, wie man kokst, sondern ganz natürlich, wie man halt atmet, und dann würde er irgendwie mit mir weiterleben."

Heiko und seinen Kumpels ist Hannover 96 heilig. Vor allem der alte Regionalgegner, Eintracht Braunschweig, gehört plattgemacht. Ein Braunschweiger "Schwein" hat Kai, Heikos Kumpel, niedergewalzt, das muss gesühnt werden. Der will aussteigen, zum Auslandssemester nach London gehen, Heiko soll mitkommen. Doch Heiko will Rache. Winkler schildert ihn als harten Jungen, der ein Leben hinter sich hat, das wenig Erfreuliches bot. Gefühle werden weggebissen. "Meine Lippen zittern, und ich muss die Schnauze zusammenkneifen, damit es aufhört", heißt es. In Rückblicken erzählt Philipp Winkler das Leben seines Helden. Die Mutter sagte eines Tages einfach "Mach's gut, Heiko" und war fort. Der alkoholabhängige Vater, Frührentner, findet schnell Ersatz aus Thailand, "Schlitzieschlampe" nennt der Sohn die neue Frau. Die Schwester macht sich davon, studiert. Heiko hat nur noch seinen Verein, tätowiert sich eine 96 in Herzhöhe. Er kämpft. Allein, seine Freunde suchen andere Wege, nach und nach seilen sie sich ab.

Winklers Bildungsroman blickt in die Seele eines verrohten Menschen. Es geht um Anerkennung, um die Schwere des Erwachsenwerdens, um Dazugehören. Heiko ist ein einsamer Wolf. Anders war das, als er sich in Yvonne verliebt hatte, die dann aber heroinsüchtig wurde. Als Heikos Vater, der ihm als Kind die Stadionmagie eingeflößt hat, aus der Entzugsklinik abhaut, wird er nicht mehr sagen: "Ja. Heiko. 96, das is' was."

Philipp Winkler: Hool. Aufbau, 310 Seiten, 19,95 €.

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