Buch über Huasbesetzer Besetzer, Spekulanten, der Staat und die Thermoskanne

Saarbrücken · Die Autoren und Alt-68er Barbara und Kai Sichtermann würdigen die einstige Hausbesetzerszene in einem manchmal nostalgisch anmutenden Buch.

 Ende der 80er jahre auf dem Ophüls-Platz in Saarbrücken: Rund 60 Hausbesetzer und Sympathisanten demonstrieren.

Ende der 80er jahre auf dem Ophüls-Platz in Saarbrücken: Rund 60 Hausbesetzer und Sympathisanten demonstrieren.

Foto: Hartung

Junge Leute, die auf Dächer von Altbauten fliehen. Die Polizei, die sie systematisch einkesselt, zuschlägt und sie in die  „Bullenwagen“ schiebt. Anfang der 1980er Jahre war viel los in Berlin, Hamburg, Köln, München, Freiburg oder Frankfurt, in 150 Städten der Bundesrepublik. Aber auch in Dänemark, den Niederlanden, der Schweiz, Österreich. Die Hausbesetzer kämpften gegen die Verwertung von Grund und Boden zum Nutzen weniger und zum Schaden der meisten. Der Abriss historischer Altbausubstanz sollte in Städten neue Tatsachen schaffen. Da kaufte einer, der sich Investor nannte, einen heruntergekommenen Jugendstilbau von 1918, wollte ihn abreißen lassen, an seine Stelle einen Betonklotz mit vielen Wohnkäfigen setzen und üppige Mietpreise kassieren. Denn Neubau galt als schick und das hatte seinen Preis. Die Besetzer wehrten sich, indem sie die Häuser okkupierten, provisorisch sanierten und darin lebten. Den selbsternannten Investor nannten sie Spekulant. Ihr Motto: Ihr kriegt uns hier nicht raus!

1981 erreichte die landesweite Bewegung ihren Höhepunkt, behördlicherseits wurden rund 600 Besetzungen erfasst. Der Staat war überrumpelt worden, und – noch schlimmer – große Teile der Bevölkerung stellten sich auf die Seite der wilden Gestalten. Sie brachten ihnen Stullen und Suppen, Kaffee in Thermoskannen und klatschten Beifall, wenn sie die Jungen auf Dächern und an Fassaden werkeln sahen. Es gab sogar Handwerksbetriebe, die Material spendeten. Die so genannten kleinen Leute, aber auch solche aus der Mittelschicht, fanden die Hausbesetzer gut.

Daran erinnern Barbara Sichtermann, 73, und ihr Bruder Kai, 66. Sie, eine der Intellektuellen der 68er-Bewegung, er, Bassist und Gründungsmitglied der Sponti-Band Ton Steine Scherben. Viel Nostalgie nistet in ihrem Buch: Das Schwarzwohnen. Die gereckte Faust. Die Solidarität, die verbindet. Die Plenumsgespräche als Küchengemurmel. Das Zusammenstehen gegen die Mächtigen. Die Gespräche am Feuer oder Ofen. Die Erotik, vielgenutzte Sexmöglichkeiten. Die Ablehnung von bürgerlicher Treue und Eifersucht. Die große Freiheit. Eine neue Lebensform, die erprobt wurde.

Das Buch ist ein Puzzle. Das Geschwisterpaar schwärmt seitenlang von Selbstbestimmung und Anarchie, das Haltlose in der bunten Szene aus Punks, Künstlern, Studenten und Obdachlosen wird ausgeblendet. Der Buchtitel „Das ist unser Haus“ ist einem Song von Rio Reiser entnommen. Ton Steine Scherben war das Sprachrohr der Besetzerszene. „Wir sind geboren, um frei zu sein“, heißt es in einem Song der Band. Es ist kaum noch im kollektiven Gedächtnis, wie gespalten die Gesellschaft in den Achtzigern war. In West-Berlin standen damals 10 000 Wohnungen leer, aber 80 000 Menschen suchten dringend Wohnraum. Die Bauskandale offenbarten die Verstrickung von Politik und Kapital. Beim Straßenkampf ging es auch um das richtige Leben, Militanz war eine alternative Existenzform.

Das wirkliche Verdienst der Hausbesetzerszene ist aber, dass Deutschland viel mehr denkmalgeschützte Häuser besitzt als die Politik im gewinnorientierten Betonrausch zulassen wollte. Da wirkt es makaber, dass ausgerechnet Vermögende und die Mittelklasse in den heute teuren Wohnungen leben. Da scheinen die persönlichen Berichte, Interviews mit Zeitzeugen, Bilder und Dokumente wie Hinterlassenschaften einer fernen Welt.

 Buch "das ist unser Haus"

Buch "das ist unser Haus"

Foto: Aufbau Verlag/jrebay

Barbara Sichtermann, Kai Sichtermann: Das ist unser Haus. Eine Geschichte der Hausbesetzung. Aufbau Verlag, 300 Seiten, 26,95 Euro.

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