Architektur-Biennale in Venedig Grüne, leise Stadt mit Recycling-Bauten

Venedig/Berlin · Was haben lebende Brücken aus Indien mit der Welt von morgen zu tun? Darum dreht sich Deutschlands Beitrag auf der Architektur-Biennale in Venedig.

 Billie und Vincent auf der Piazza San Marco im Kurzfilm „Interrail 2038“, dem deutschen Beitrag zur Architektur-Biennale.

Billie und Vincent auf der Piazza San Marco im Kurzfilm „Interrail 2038“, dem deutschen Beitrag zur Architektur-Biennale.

Foto: dpa/--

Städte ohne Lärm, Bauwerke aus lebenden Pflanzen und neue Ideen für das Recycling alter Gebäude-Bauteile: Solche Dinge sollen für die Architektur der nahen Zukunft eine größere Rolle spielen. Das erwarten die Mit-Kuratoren des deutschen Beitrags bei der Architekturbiennale in Venedig, Arno Brandlhuber und Olaf Grawert. Die internationale Architekturschau öffnet am Samstag für das Publikum. Dann können sich Besucher aus aller Welt bis 21. November ansehen, was den Kreativen rund um den Globus zum Biennale-Motto „How will we live together?“ (Wie werden wir zusammenleben?) eingefallen ist.

„In den nächsten Jahrzehnten wird nachhaltige Architektur sexy. Auch aus finanzieller Sicht“, sagt Grawert, 33 Jahre alt, Architekt und Autor. Sichtbeton, Marmor und Naturstein werden nicht mehr der Maßstab sein. „Sondern die Betriebsmodelle hinter den Architekturen, die nächsten Generationen eine Teilhabe ermöglichen.“

Grawert und Brandlhuber, Professor an der der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH), setzen mit ihrem fachübergreifenden Expertenteam auf ökologisches Kreislauf-Denken beim Bauen – aber bezahlbar. Sie glauben an die Kraft positiver Visionen, die im deutschen Pavillon auf multimediale Weise in den Raum geworfen werden sollen.

Mitgewirkt hat eine lange Liste von Leuten, darunter Taiwans prominente Digitalministerin Audrey Tang, der niederländische Künstler Jonas Staal und der in Belarus geborene Technik-Autor Evgeny Morozov.

 Bei der diesjährigen Architektur-Biennale in Venedig können Besucher auch vor Ort die Ausstellungen besichtigen.

Bei der diesjährigen Architektur-Biennale in Venedig können Besucher auch vor Ort die Ausstellungen besichtigen.

Foto: dpa/Masini

Baubotanik habe Potenzial, schwärmen die Kuratoren. Dieses Fachwort fällt mehrfach. Technik und Pflanzen verbinden sich dabei zu neuartigen Konstruktionen. Sie nennen auch lebende Brücken aus Wurzeln und Ranken in Indien als ein Beispiel. Technikgetrieben ist dagegen das Modell, Bauelemente schon beim Entstehen eines Hauses mit einem Code zu markieren, der Informationen über eine spätere Wiederverwertung an anderer Stelle enthalten soll, wenn die Erst­nutzung vorbei ist.

Dabei besteht die Präsentation des deutschen Beitrags mit dem Namen „2038 – The New Serenity“ (2038 – Die Neue Gelassenheit) in Venedig nicht aus Modellen oder Zeichnungen, sondern schwerpunktmäßig aus Filmen. „2038 ist ein positiver Rückblick aus der Zukunft, in der noch mal alles gut gegangen ist. Erzählt wird dies in Form von Filmen zwischen Fakt und Fiktion“, sagt Grawert. Die inhaltliche Klammer sei der Kurzfilm „Interrail 2038“, dessen Hauptfiguren in der Pandemiekrise geboren wurden. „Darin treffen sich zwei 18-Jährige in Venedig und blicken auf ihr Erwachsenwerden und die Entwicklungen zurück.“ Worüber sie sprechen, wird in anderen Beiträgen, den „History Channels“, vertieft. Hier kommen die Experten zum Zuge.

Dass wegen der Corona-Pandemie zum Gesundheitsschutz nur eine eingeschränkte Zahl von Zuschauern in den Pavillon darf, sehen die Kuratoren als Chance: Denn ihre Arbeit ist nicht nur dort, sondern auch im Netz zu erleben über „2038.xyz“. So erreiche man womöglich zusätzlich zu den Architektur- und Kunstfans vor Ort ein breiteres Publikum, hoffen sie.

„Wir alle, egal ob in Venedig oder zu Hause, sehen die Filme auf die gleiche Art und Weise, nämlich über unsere jeweiligen Devices. Sie unterscheiden sich nicht. Die Besucherinnen in Venedig sehen die gleichen Filme wie die Besucherinnen im Cloud-Pavillon“, versichert der 57-jährige Brandlhuber.

Und welche Vorstellung hat er selbst vom künftigen Bauen und Wohnen? „2038 wird sich nur noch eine Minderheit ein Einfamilienhaus im Grünen wünschen – anders als heute“, meint Brandlhuber. „Denn die Städte werden viel leiser und grüner geworden sein, viel weniger stressig. Und die Menschen werden wieder Lust haben, in der Stadt zu leben.“ Wobei solche Aussagen und das Projekt in Venedig auch als Debattenangebot zu verstehen sind.

In der norditalienischen Stadt zeigen bei der 17. Architekturbiennale – geleitet vom libanesisch-amerikanischen Architekten Hashim Sarkis – mehr als 100 Teilnehmer aus 46 Ländern weitere, sicher oft ganz andere Bau-Ideen. Außerdem kann das Publikum in rund 60 anderen Länderpavillons nach Inspirationen und Debattenstoff suchen.

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