Streitfall St. Ingberter Baumwollspinnerei Vertracktes Innenleben der Baumwollspinnerei

St. Ingbert · Streitfall St. Ingberter Kulturzentrum: Der Bauherr, der Saarbrücker Werner Deller, nimmt Stellung zu den Vorwürfen des Landesrechnungshofs.

  Zustandsbild der St. Ingberter Baumwollspinnerei von Ende September 2018 mit dem in eines grünes Staubschutznetz „eingepackten“ Kesselhaus.

Zustandsbild der St. Ingberter Baumwollspinnerei von Ende September 2018 mit dem in eines grünes Staubschutznetz „eingepackten“ Kesselhaus.

Foto: Werner Deller

Mehr als sechs Jahre ist es her, seit der Umbau der denkmalgeschützten St. Ingberter Baumwollspinnerei, eines der markantesten und schönsten Industriebauwerke im Saarland, angegangen wurde. Zunächst hieß es tollkühn, Ende 2013 könne die 1885 von Max Schuler erbaute Geschossfabrik aus Buntsandstein bezugsfertig sein und damit auch das seit 2007 eingemottete städtische Albert-Weisgerber-Museum dort wieder feierlich eröffnen. Weit gefehlt. 2014 wurde die Inbetriebnahme des Kulturzentrums samt Museum, städtischen Kultureinrichtungen und privater Galerie dann für Ende 2016 avisiert. Und heute? Wirkt das Projekt so verfahren, dass die Beteiligten keine Prognosen mehr wagen, derweil sich nicht nur St. Ingberter fragen, ob es überhaupt noch zu einem guten Ende gebracht wird.

Zuletzt hat der Rechnungshof in einem Anfang Dezember vorgelegten „Sonderbericht“ versucht, nicht nur die Genese des Revitalisierungsprojekts aufzuarbeiten. Sondern auch aufzuzeigen, was vermeintlich schief gelaufen ist in dem ambitionierten Bauvorhaben, das 2011 mit einem Kaufvertrag zwischen dem Saarbrücker Informatiker und Galeristen Werner Deller und der Stadt begann. Sie erwarb von ihm Zweidrittel der viergeschossigen Immobilie. Im Kern lautet der Prüfbefund, dass der durchgängig als „Investor“ titulierte Bauherr, der hinter der „Alte Baumwollspinnerei Grundstücksverwaltung GmbH & Co KG“ stehende Deller, „mit der Abwicklung eines solchen Projekts fachlich überfordert“ gewesen sei (wir berichteten). Überdies bilanzieren die Prüfer, das Projekt sei, nicht zuletzt infolge seiner „schlechten vertraglichen Grundlagen“, ein „weiteres sehr schlechtes Beispiel für eine Öffentliche-Private-Partnerschaft“ – sprich wieder mal ein verunglücktes PPP-Projekt.

Werden die Prüfer dem Projekt damit gerecht? Wer sich damit eingehender beschäftigt, muss Deller beipflichten. „Das Spinnerei-Projekt war und ist alles andere als ein typisches PPP-Projekt“, sagt er. Sehen diese im Regelfall doch so aus, dass ein privater Investor für die öffentliche Hand Baumaßnahmen vorfinanziert und durchführt, während Letztere sich im Gegenzug zu langfristigen Mietverträgen verpflichtet. Im Fall Spinnerei hingegen ist die Stadt nicht Mieter, sondern Miteigentümer. Im Übrigen entspricht die Konstellation zwischen Deller und Stadt eher einer klassischen Bauherrengemeinschaft: Beide sind nicht nur Teileigentümer, sondern die Stadt – wie Deller nicht müde wird zu betonen – auch „planungsbeteiligter Vertragspartner“.

Er sei kein Investor. „Ich will mit dem Projekt keinen Schnitt machen“, beteuert Deller und erinnert daran, dass die Stadt von Anfang an in „wöchentlichen Baubesprechungen mit eigenen Fachleuten“ in alle Vorgänge involviert gewesen sei. Auch belegen Abrechnungsbögen, dass der als Bauherr fungierende Informatiker über Jahre hinweg für jede einzelne der in die Tausende gehenden Kostentitel bis hinters Komma genau stets Vertragswert und Baufortschritt auflistete. Sie hielten fest, welche Leistungen eine mit den Baumaßnahmen als Generalunternehmer beauftragte Arbeitsgemeinschaft zweier saarländischer Firmen erbrachte.

Einer der Gründe für die Verzögerungen des Projekts lag in dem Dissens zwischen Dellers „Grundstücksverwaltung GmbH & Co KG“ und der bauausführenden Arbeitsgemeinschaft. Er führte seit 2013 mehrmals zu einem Baustopp und 2017 zur Kündigung des Vertragsverhältnisses durch den Auftraggeber. Damit nicht genug, machten dem Projekt diverse Behördenauflagen zu schaffen, die erst nach Abschluss des Kaufvertrages mit der Stadt erfolgten: Angefangen damit, dass die Obere Bauaufsicht des Landes (OBA) im Nachhinein umfängliche, sehr viel kostspieligere Brandschutzauflagen verfügte als dies zuvor die kommunale Untere Bauaufsicht (UBA) in Aussicht gestellt hatte.

Da nun aber in einem derart komplexen Verfahren –  Umbau einer unter Denkmalschutz stehenden Fabrik zu einem teils aufwändige Museumsanfordernisse einlösenden Kulturzentrum, wobei damit nicht genug noch die ob ihrer zahllosen Pferdefüße gefürchtete Versammlungsstättenverordnung greift – schnell eines ins andere greift, gingen mit den hohen Nutzungsanforderungen auch zusätzliche statische Ertüchtigungen einher. Ferner hätten, so Dellers Sicht, überdies Vorgaben des Landesdenkmalamts sowie ausdauernde Prüfungen von Seiten der Stadt einen zügigen Baufortschritt erschwert. In der Summe hätten maßgeblich komplexe Abstimmungsprozesse (Brandschutz, Statik, Denkmalauflagen) die Verzögerungen verursacht – und nicht die ihm vom Rechnungshof unterstellte fachliche Überforderung. Unzutreffend sei auch, dass er, wie im Prüfbericht moniert, als Bauherr keinen „baufachlichen Sachverstand“ eingeholt habe. „Vor und nach 2012 habe ich eine Vielzahl von Gutachtern beauftragt und auch Projektsteuerer“, erklärt Deller.

Der Rechnungshof kam zu dem Schluss, dass der „Investor“ für alle entstandenen Mehrkosten hätte alleine aufkommen müssen. Tatsächlich wurden diese jedoch gemäß Kaufvertrag (und darin festgeschriebener Immobilienaufteilung) aufgeteilt: Zweidrittel trug die Stadt, ein Drittel entfielt auf Deller. Die Prüfer machten sich damit die Position von St. Ingberts parteilosem Oberbürgermeister Hans Wagner zu eigen, wehrt sich Deller. Wagner, der das Projekt wider Willen von seinem CDU-Vorgänger Georg Jung geerbt hatte, stellte sich mehrfach auf den Standpunkt, der Stadt sei 2011 eine „schlüsselfertige Übergabe“ der Immobilie zu Gesamtkosten von 14,6 Millionen Euro zugesichert worden. Davon hatte St. Ingbert Stadt 9,6 Millionen zu tragen (davon 6,9 Millionen als Fördergelder aus Konversions- und Städtebaumitteln), fünf Millionen entfielen auf die „Alte Baumwollspinnerei Grundstücksverwaltung“.

Dass die seit 2011 entstandenen Mehrkosten in Höhe von bislang rund 2,5 Millionen Euro, für die ihn persönlich keine Schuld treffe, von beiden Seiten anteilig getragen wurden, hält Deller für gerechtfertigt. Er gibt zu bedenken, dass die Stadt vorab den Kaufpreis soweit heruntergerechnet und sämtliche Puffer eliminiert habe, dass keinerlei finanzielle Spielräume geblieben seien. Als die Kosten dann aus dem Ruder liefen, habe er die Mehrkosten nicht nur anteilig getragen, sondern mit dem Verzicht auf den ursprünglich in seinem Teileigentum geplanten Dachpavillon zusätzlich Federn gelassen. „Alle Mehrkosten wurden von mir ohne Aufschläge an die Stadt anteilig weitergegeben“, so Deller. Liest man den Sonderbericht, entsteht hingegen der Eindruck, als habe nicht Deller, sondern die Stadt den Dachpavillon aufgeben müssen.

Es ist dies nicht die einzige Unschärfe des Berichts, der mehrfach insinuiert, dass sich Deller auf Kosten der Stadt gewissermaßen bereichert habe. Etwa, wenn es heißt, dass mit dem Trafohaus und dem Baumwolllager zwei Teilgrundstücke von diesem nicht in das Projekt eingebracht worden seien. Und die Prüfer folgern, dass für die Stadt später „ein hoher Handlungsdruck zum Erwerb dieser Grundstücke entstehen“ könnte. Darauf angesprochen, versichert Deller, beide Parzellen seien damals „in gegenseitiger Absprache ausgespart worden“. An anderer Stelle heißt es im Prüfbericht, dass der Bauauftrag zu einem garantierten Maximalfestpreis vergeben worden sei, weshalb der Rechnungshof schlussfolgert, dass „die Stadt St. Ingbert von einer professionellen und sorgfältigen Bearbeitung des Umbauprojekts ausgehen konnte“. Und Deller etwa nicht? Durfte er dies als Teileigentümer nicht mit derselben Erwartung tun?

Dass die Stadt, wie der Rechnungshof festhält, „erhebliche Abstriche in den geforderten Bauqualitäten in Kauf genommen“ habe, ist laut Deller, der seit der Kündigung der ausführenden Baufirmen im Vorjahr die weiteren Gewerke selbst in Auftrag gab, unzutreffend. Vielmehr sei eine Vielzahl von Gewerken aufwändiger realisiert worden als ehedem vereinbart. Fürs erste steht also Aussage gegen Aussage. Der Rechnungshof fordert, eine Konventionalstrafe gegen den „Investor“ zu verhängen. Und zu erwägen, das Projekt mit einem anderen (oder in städtischer Alleinregie) abzuschließen. Damit liebäugelt nun auch OB Wagner – wobei auch der Rechnungshof anklingen lässt, dass beides die Stadt (auch aufgrund möglicher ­Rückzahlungen bereits gewährter Förderzuschüsse) am Ende womöglich teurer kommen könnte als ein verbindliches Agreement der bisherigen Vertragspartner.  

 Je tiefer man die Hintergründe der äußerst komplexen Gemengelage auszuleuchten versucht, desto mehr festigt sich der Eindruck, dass Deller in der Tat alles andere als ein klassischer Investor ist, dem es um persönlichen Profit geht. So verständlich der Unmut über die endlose Hängepartie Baumwollspinnerei fraglos auch ist: Deller nun kurzerhand zum Buhmann machen zu wollen, greift wohl allzu kurz. Manches deutet daraufhin, dass auch die Stadt mit ihrer eigenen Doppelrolle Probleme hatte. Einerseits zog sie sich auf den Standpunkt zurück, ihr stehe eine schlüsselfertige Übergabe zu. Andererseits aber wollte sie, wie Deller es heute ausdrückt, „bei allem mitmischen, auf alles Einfluss nehmen und alle Risiken auf mich abwälzen“. Deller jedenfalls will, wie er versichert, das Projekt im Einvernehmen mit der Stadt zuendebringen. Die ihm vom Rechnungshof unterstellte „fehlende Bereitschaft zur Zusammenarbeit“ hält er für aus der Luft gegriffen.

Die kommenden Monate dürften zeigen, ob das zerschlagene Porzellan sich wieder zusammenkehren lässt. Derzeit ist die Spinnerei noch im Rohbau. Ginge die Fenstersanierung – seit Februar 2018 aufgrund der von Stadtseite verweigerten Auftragsfreigabe blockiert – endlich vonstatten, könnte der Innenausbau zügig folgen. Und das zum Danaergeschenk gewordene Spinnerei-Projekt doch noch ein gutes Ende finden.

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