Buch-Tipp Wie Motten um das Licht...

Saarbrücken · Carola Neher war eine Theatergöttin der Weimarer Republik. Dutzende Männer buhlten um sie, der scheue Dichter Klabund ebenso wie Bertolt Brecht. Autorin Charlotte Roth hat der Neher jetzt einen biografischen Band gewidmet, der das tosende Berlin der 1920er Jahre mit Lust inszeniert.

  Hinreißend auf der Bühne wie im Lichtspiel: Carola Neher (hier mit Wolfgang Zilzer in dem Lustspiel „Kukuli“) war der Theaterstar der Weimarer Republik – und nicht nur Bertolt Brecht war verrückt nach ihr.

Hinreißend auf der Bühne wie im Lichtspiel: Carola Neher (hier mit Wolfgang Zilzer in dem Lustspiel „Kukuli“) war der Theaterstar der Weimarer Republik – und nicht nur Bertolt Brecht war verrückt nach ihr.

Foto: picture alliance / ullstein bild/dpa Picture-Alliance / Zander & Labisch

Was man sich bei Droemer wohl dabei dachte? Als man die lockende Phrase „Sie war die Muse von Bertolt Brecht“ vorn auf Charlotte Roths neues Buch „Die Königin von Berlin“ drucken ließ? Marktkalkül steckt sicher dahinter, dass der Name Brecht anno 2020 nicht bloß hemdsärmelige Weltverbesserer mit Schiebermütze erregen könnte, sondern dank diverser TV-Sagas Brecht ja auch als Womanizer der Deutschen Linken gilt. Sozusagen der Casanova vom Berliner Ensemble, oder „Angsambel“ wie der Berliner sagt. Stimmt ja irgendwie auch, ohne damit am Brechtschen Postament rütteln zu wollen. Frauen nutze BB nicht nur für seine immense Textfabrikation schamlos aus, er verschlang sie auch im und neben dem Bett. Das Winken mit diesem Zaunpfahl Brecht aber hat Carola Neher nun wirklich nicht nötig. Und auch der biografisch getönte Roman von Charlotte Roth nicht, mit dem die Literaturwissenschaftlerin für uns diese faszinierende Schauspielerin der Zwischenkriegszeit in schillernden Farben wieder lebendig werden lässt.

Wie einige der nicht immer feinen Herren Autoren in der Weimarer Republik tatsächlich über die junge Carola Neher dachten, lässt sich auch im Standardwerk zum Dramatiker-Denkmal, der „Brecht-Chronik“ von Werrner Hecht, nachlesen. Lion Feuchtwanger empfahl die junge Mimin seinen Kollegen Brecht und Arnolt Bronnen als „nette kleine Hur’“. Alles gesagt.

Schon Anfang der 1920er lernen sich Brecht und Neher in deren Geburtsstadt München kennen. Brecht, der 1922 mit „Trommeln in der Nacht“ seinen ersten veritablen Erfolg verbucht, fällt die dunkel gelockte, bildschöne Schauspielerin sofort ins Auge. Mehr aber noch fasziniert den Theaterrevolutionär in spe wohl das kesse Ego der Neher. Die 22-Jährige kämpft damals mit aller Macht und allen Mitteln um einen Platz im Rampenlicht. Mehr als eine handvoll Nebenrollen hat sie an den Bühnen in Baden-Baden und Darmstadt bis dato nicht ergattern können, zweifelt gar mal, ob es richtig war, ihre biedere Bankstelle aufzugeben. Doch nachdem die Münchner Kammerspiele sie engagieren, werden die Rollen allmählich größer – und 1925 schafft sie in „Der Kreidekreis“, dem Stück, das ihr erster Mann, der Dichter Klabund, ihr auf den Leib schreibt, den Durchbruch. Bald schon verfällt die halbe Republik ihrem grandiosen Spiel, ihrer elektrisierenden Erotik, ihrer Wildheit – und ihrem herrlich frechen Mundwerk (der „Barbara“-Song, den man mühelos auch im Internet findet, gibt davon einen kleinen Eindruck).

Es ist eine vibrierende Dekade, in der die Neher zum Star avanciert. Nach der katastrophalen Zäsur des Ersten Weltkriegs fährt die Wirtschaft Achterbahn, die junge deutsche Republik zerreißt es schier zwischen politischen Extremen. Und in der Kunst? Da will man unbedingt alles anders, alles neu denken. Die junge Schauspielerin tanzt da wild zwischen Genies und Drogen-berauschten Möchtegern-Dichtern. Brecht und Bronnen sind nur zwei der vielen, vielen Verehrer. Glanz-Gazetten wie „Die Dame“ drucken Titelstories über sie, man betet sie als „schönste Frau Deutschlands“ an. Doch nicht nur der aus jeder Pore Selbstbewusstsein ausschwitzende Brecht begehrt sie, will sie als „Polly“ für seine „Dreigroschenoper“ und für seine „Heilige Johanna der Schlachthöfe“. Auch den Theaterautor und Satiriker Klabund betört ihr energiegeladenes Wesen. Ein schüchtern-feinsinnig Menschenfreund ist er, Tuberkulose-krank seit Jahren, kein Menschenverschlinger wie der Theater-Baal Brecht. Vielleicht ist es ja gerade Klabunds körperliche Schwäche und Carola Nehers unbändige Vitalität, die sich so magisch anziehen.

Ruhe aber findet sie auch bei ihm nicht. Hin und her hetzend zwischen den Polen Brecht und Klabund, so zeichnet Charlotte Roth mit enormen erzählerischem Schwung Carola Neher. Sie setzt den jungen Bühnen- und Filmstar auch fast schon exemplarisch für eine Frau, die sich in den 1920er Jahren ihre Position erkämpft. Die ihre Karriere, ihren Willen, Kunst zu machen, klar vor Familie und Männer stellt. Und doch überkommt sie immer wieder das Gefühl, sie müsse auch dem genügen. Ein immer noch aktueller Rollenkonflikt, den Roth en passant an diesem 100 Jahre alten Beispiel durchexerziert.

Die Autorin inszeniert literarisch große Momente dieser Zeit, Brechts kühne Theaterarbeit etwa, mit Lust und Kennerschaft. Man folgt ihr gern ins Romanische Café in Berlin, wo sich kulturelle Haute Volée und Verlierer der tosenden 20er mischen. Mit dem sicheren Händchen einer versierten Unterhaltungsautorin holt sich Roth reale Persönlichkeiten in ihr teilfiktives Spiel. Nicht alles hält der historischen Überprüfung stand, vieles bleibt letztlich ein Es-könnte-so-gewesen-sein. Aber alleine, wie genüsslich Charlotte Roth, all die kleinen Brechtschen Eitelkeiten ausbreitet, lohnt schon der Lektüre. Bei der zarten Liebe zwischen Klabund und Neher aber schleicht sich öfter ein süßlicher Lore-Roman-Ton ein. Unnötig. Ergreift doch die wahre Lebens-Dramatik immer noch am stärksten. Bei der Uraufführung der „Dreigroschen-Oper“ 1928 im Theater am Schiffbauerdamm konnte Carola Neher nicht dabei sein. Sie eilte zu ihrem Mann nach Davos, der kurz darauf an Tuberkulose starb. Erst später spielte sie die Polly – auf der Bühne und im Film.

Charlotte Roth folgt dem Leben der Schauspielerin allerdings nur, solange deren Aufstieg währte. Von ihren furchtbaren Jahren erfährt man wenig – nach 1933 musste Neher mit ihrem zweiten Ehemann Anatol Becker ins Exil nach Moskau. Becker und Neher wurden als Trotzkisten denunziert, er 1937 erschossen, Carola Neher starb 1942 in einem sowjetischen Lager an Typhus. Viele Künstler baten Bertolt Brecht, damals schon eine Größe in der kommunistischen Kultur-Hemisphäre, sich für sie einzusetzen. Doch ob es mehr als zaghafte Versuche waren, darf man bezweifeln. All das legt Charlotte Roth zwar durchaus in ihrem Roman an, bringt die Figuren schon ins Spiel, doch wie Carola Nehers Leben endete, ihre Karriere zerstört wurde, handelt sie nur wie nebenbei ab. Diese Realität schien ihr wohl für einen Roman mit dem Titel „Die Königin von Berlin“ zu bitter.

 Für Bertolt Brecht war Carola Neher die ideale „Polly“ in seiner „Dreigroschenoper“.

Für Bertolt Brecht war Carola Neher die ideale „Polly“ in seiner „Dreigroschenoper“.

Foto: dpa/B3573 Jörg Kolbe

Charlotte Roth: „Die Königin von Berlin“, Droemer, 413 Seiten, 19,99 Euro.

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