Avantgarde Ein erotisches Genie und so manches mehr

Pirmasens · Eine Ausstellung in Pirmasens über Emmy Ball-Hennings und die Graphic Novel „Alles ist Dada“ gewähren spannende Einblicke in ein schillerndes Leben.

 Der Comicband über Emmy Ball-Henning.

Der Comicband über Emmy Ball-Henning.

Foto: Avant-Verlag

Gute Ehen. Wo werden die eigentlich geschlossen? „Bei uns scheint alles umgekehrt zu sein, anders als bei anderen Leuten. Wir sind der Ansicht, dass gute, haltbare Ehen in der Hölle geschlossen werden und allmählich in den Himmel dringen.“ Wir – das sind Emmy Hennings, von der dieses Zitat stammt, und ihr Gatte Hugo Ball. Am 21. Februar 1920 heiratete „die Jahrhundertfrau der Avantgarde“ (FAZ) den in Pirmasens geborenen Autor und Dada-Mitbegründer in Bern. Nach den legendären Dada-Abenden im Zürcher „Cabaret Voltaire“ im Jahr 1916 lebten die beiden im Tessin und freundeten sich mit Hermann Hesse an.

Die am 17. Januar 1885 in Flensburg geborene Emmy war noch vor der Hochzeit an der Spanischen Grippe erkrankt – und überlebte nur knapp. Mal wieder. „Typhus, aufgeschnittene Adern, Geschlechtskrankheiten, Spanische Grippe, Morphium… und doch stehst du nicht auf meiner Liste. Seltsam…“, kommentiert der von einem Heiligenschein umkranzte Gott in der druckfrischen Graphic Novel „Alles ist Dada. Emmy Ball-Hennings“.

Bereits 2017 erschien unter dem Titel „El Ángel Dadá“ das lesenswerte Werk auf Spanisch „über diese zu Unrecht vergessene Schlüsselfigur des Dadaismus“, wie der Texter Fernando Gonzáles Viñas hervorhebt. Der spanische Autor, Historiker, Comicautor muss es wissen. Schließlich hat er Werke von Hugo Ball und Emmy Hennings aus dem Deutschen ins Spanische übertragen und ist somit ein ausgewiesener Kenner. Dass die biographische Graphic Novel nun im Berliner avant-Verlag auch auf Deutsch vorliegt, ist der Förderung durch das „Forum Alte Post“ und die „Hugo-Ball-Gesellschaft“ – beide in Pirmasens ansässig – zu verdanken. Und fügt sich gut. Denn Charlotte Veit (Koordinatorin Forum ALTE POST) hat nicht nur die bis zum 26. April zu sehende Ausstellung „Emmy Hennings – Jahrhundertfrau der Avantgarde“ kuratiert, sondern die Publikation der Graphic Novel und des Hörbuchs zu Emmys erstem, autobiographisch motivierten Roman „Gefängnis“ (speak low) initiiert. „Mittels Fotografien, Texten und vielen Originalen gewährt die Ausstellung einen Einblick in das vielschichtige Schaffen Emmy Hennings“, erklärt Kuratorin Veit mit Verweis auf das wenig bekannte Werk. Im März erscheinen auch Emmy Hennings Gedichte im Wallstein-Verlag, der die längst überfällige, kommentierte Werkausgabe herausbringt.

Obwohl Emmy im Schatten des großen Hugo Balls zu verblassen scheint, ist dem mitnichten so. Vielmehr hat sie sich fast unbemerkt in die Literatur- und Kunstgeschichte eingeschrieben bzw. wurde gar selbst zum Sujet. „Ich bin die Soubrette aus Balls Roman „Flametti“, die Magda aus Johannes R. Bechers „Abschied“, bin Hardekopfs „Tänzerin“ und die nackte Muse von Junghans und van Hoddis. Ich war Teil einer Welt, die immer noch viele inspiriert.“, resümiert Emmy kurz vorm Ende ihres Auftritts in dieser Welt am 10. August 1948. Das Leben hat sie gezeichnet – und José Lazaro hat ihr Leben schlaglichtartig nachgezeichnet. Durchgängig in Schwarzweiß. Bevorzugt in Porträts mit großen, vom Morphium geweiteten Pupillen, dem Bubikopf und den hervorstehenden Wangenknochen. Und dennoch bringt die Lektüre ein schillerndes Kopfkino in Gang. Wie ein buntes Kaleidoskop nimmt sich dieses von Armut, Rausch und Sinnigkeit getragene Leben am Vorabend des Ersten Weltkriegs aus. Einer Zeit voller Wider- und Umbrüche, in der sich die geistigen Größen in Berlin, München und Paris in Zirkeln zusammenfanden und so mancher von ihnen das Bett Emmy erlag, bevor das Infernal des Krieges sie alle zerstreute oder den Tod finden ließ. Geschickt verweben Fernando Gonzáles Viñas und José Lázaro Emmys Lebensgeschichte mit der Zeitgeschichte zu einem Narrativ, das im besten Sinne unterhält und belehrt – und dabei nicht mit Kritik an heteronormativen Machtgebaren spart.

Fernando González Viñas und José Lázaro: Alles ist Dada. Emmy Ball-Hennings. Übersetzung aus dem Spanischen von André Höchemer. Avant-Verlag, 232 S., 25 Euro.

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