„Aus uns hätte was werden können“

Saarbrücken · Johnny Rotten war die Stimme der Rebellion. Seine Worte waren Waffen. Sein Punk revolutionierte die Musikwelt. Vier Jahrzehnte nach dem Auftauchen seiner Band, der Sex Pistols, erklärt ihr Ex-Sänger noch immer, wie es damals wirklich war – und wie nicht.

Bei den Sex Pistols war es wie in jeder guten Familie: Zerwürfnisse, Prozesse, Feindschaften prägten die Band nach ihrer Gründung 1975. Welche Rolle spielte Manager Malcolm McLaren? Was war mit Designerin Vivienne Westwood? Welchen Anteil hatte neben John Lydon alias Johnny Rotten (wegen seiner gammeligen Zähne) die restliche Band um Steve Jones, Paul Cook und Glen Matlock, der 1977 durch Sid Vicious ersetzt wurde?

John Lydon, am 31. Januar 1956 in London geboren, untermauert in seiner Autobiografie die Version, die er bereits 1994 in " Mein Leben mit den Sex Pistols" kolportierte. McLaren beschreibt er als geistreich, aber feige und planlos, Westwood als äußerst kreativ, aber diktatorisch. An Jones lobt er das Gitarrenspiel, an Drummer Cook das perfekte Timing - sie haben seine provokanten Texte, seinen aggressiven Gesang so erst möglich gemacht. Sid Vicious sei mehr als durchgeknallter Junkie denn als versierter Bassist aufgefallen. Lydon selbst hatte da mehr zu bieten: Unberechenbarkeit, Risikobereitschaft. Er beschreibt sich als Rampensau, Arschloch, Provokateur. Viel Potenzial, das sich bei den Pistols nur kurz entfalten konnte, 1978 war es vorbei. Sein Urteil, nicht ironiefrei: "Aus uns hätte was werden können."

Natürlich hat Lydon in seiner mit rustikaler Lakonie, aufrichtiger Analyse und amüsantem Wahnsinn austarierten Autobiografie mehr zu erzählen als nur von Punk-Revolten: Die Familie lebt zu sechst in einer kleinen Sozialwohnung. Mit vier kann John lesen, verschlingt Bücher wie am Fließband. Eine Meningitis-Erkrankung wirft ihn zurück, die Schule wird zur Qual. Aus dem fröhlichen wird ein schüchternes Kind. Früh hört er Musik, erst Slade und Status Quo, dann T. Rex und Bowie. Mit 15 bekennt sich der Arsenal-Fan zum Hooligan, mit 18 ist er "definitiv bereit, loszuschlagen". Als Stammgast im Klamottenladen von McLaren/ Westwood wird er entdeckt.

Nach Pistols-Aus gründet er das Musikprojekt Public Image Limited (PiL), hat mit "This is not a love song" einen Hit, versucht sich als Schauspieler, spricht für die Hauptrolle in "Quadrophenia" vor, kümmert sich mit seiner Frau um deren Enkel. Der letzte Job als König Herodes in der Musicalproduktion "Jesus Christ Superstar" endet, bevor es losgeht: Das Projekt wird gekippt. Eine Lebensgeschichte mit mehr Downs als Ups, wovon sich Lydon nicht beirren lässt. "Ich liebe mein Leben", bekennt Lydon.

John Lydon: Anger is an energy - Mein Leben unzensiert. Heyne, 674 Seiten, 24,99 €

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