Neue Romane Das Meer betreibt ein einsames Geschäft

Saarbrücken · Aus der Welt der Sterneköche in die Einsamkeit von Wales führt Karl-Heinz Otts neuer Roman und findet dort Melancholie.

 Meister der Beiläufigkeiten: Schriftsteller Karl-Heinz Ott.

Meister der Beiläufigkeiten: Schriftsteller Karl-Heinz Ott.

Foto: Peter-Andreas Hassiepen

In ein verwaistes, etwas heruntergekommenes Hotel im letzten Winkel der walisischen Küste flieht die weibliche Hauptfigur in Karl-Heinz Otts neuem Roman „Und jeden Morgen das Meer“. Sie tut es, nachdem ihr Mann sich das Leben genommen hat und das von ihnen jahrzehntelang geführte renommierte Feinschmeckerlokal am Bodensee nun unter den Hammer kommt. Es ist eine Flucht, die für Sonja mit 62 vielleicht nochmal einen Neuanfang bedeuten könnte. Hier, weit draußen in Abydyr, wo niemand sie kennt und nichts weiß von ihrem Lebensruin.

Ein abgeschiedener Ort, an dem sie auch drei Jahre, nachdem sie dort das „Ocean Bay“ eröffnet hat und gegen freie Logis plus Taschengeld „den schieren Stillstand“ verwaltet, immer noch jeden Tag auf der Klippe steht und denkt: „Ich könnte springen“. Vordergründig leuchtet Otts Roman in immer neuen Rückblenden auf die Zeit am Bodensee die Zwänge, Torturen und Verführungen der Welt der Sterneköche aus: Lange galt Sonjas und Brunos „Lindenhof“ als eine der ersten Adresse der Haute Cuisine: Chirac und Kohl gehörten zu ihren Gästen. Wenn die Gourmet-Karawane aber irgendwann weiterzuziehen beginnt, weil man mit dem Investieren nicht hinterherkommt, ist es schnell mal vorbei mit Glanz und Gloria. All das lotet Ott, seit seinen Romanen „Ins Offene“ (1998) und „Endlich Stille“ (2005) ein literarischer Meister des Beiläufigen, zwar aus und führt uns ohne jede Häme ein modernes Aschenputtel vor.

Eigentlich aber hat dieser Roman dann doch ein ganz anderes, ungleich existenzielleres Thema: Was bleibt von einem Menschen, wenn er seine Lebensaufgabe verliert ?  Was findet er, wenn er zuvor nichts hatte als seinen Beruf, der ihn – unter Köchen und Hoteliers keine Seltenheit – immerzu geknebelt und gebunden hat ? Otts Hauptfigur begreift – vielleicht, weil Sonja, in Wales gestrandet, nichts mehr vom Leben will – auf einmal das Gleichmaß der Natur. Und entwickelt ein Gespür für den Trost, den „die nackte Unendlichkeit“ des Meeres bereithält, ungeachtet seiner abweisenden Schroffheit. „Vielleicht ist nie etwas vorbei. Vielleicht türmt sich alles nur auf“, lässt Ott sie in ihren Bewusstseinsströmen notieren. 

Am Abgrund zu stehen, Sonja tut es im topografischen wie im übertragenen Sinn, kann eine kathartische Wirkung nach sich ziehen – so muss man diesen elegischen Roman wohl lesen. Die Klarheit, mit der seine Lebensneuanfängerin nach und nach ihr Gewordensein erstmals zu überblicken beginnt –  all die Lebenstäler, das Übermaß an Gleichlauf und die raren Glücksmomente – , hüllt er in ein zartes Sprachgewand, das mitunter eine gewisse Geziertheit nicht verbergen kann. Etwa in Sätzen wie diesen: „Schließlich konnte es nichts Elenderes geben, als beim letzten Abschied mutterseelenallein gehen zu müssen. Als sagte es alles über das Leben.“

Und doch ist es kein geringes Kunststück, das Karl-Heinz Ott mit diesem verhaltenen, dichten Psychogramm einer vorgeblich „einfachen Frau“ gelingt. Nicht mit falltypischem Hochmut vorgeführt wird sie uns, vielmehr wird diese letztlich unscheinbare Person voller Nachsicht umrundet. Eine Figur, die ebensowenig wie ihr Schöpfer gedankliche Höhenflüge unternimmt, sondern die mit einer letztlich entwaffnenden Fehlbarkeit für sich selbst Bilanz zieht. „Vielleicht erledigt das Schicksal einfach sein Geschäft, sagte sie sich irgendwann, ohne jede Rücksicht auf unser Wollen und Wünschen.“

Zuletzt ist es vor allem ein Motiv, das dieses Buch innerlich zum Ganzen zusammenschnürt: Dass sich manchmal auch in einem Zustand anhaltender Verzweiflung eine Art inneres Gleichgewicht finden lässt. Haltlosigkeit auszuhalten, heißt zwar längst nicht, sie dadurch leichter zu überwinden. Wohl aber mehr über die eigene Rolle im Leben begriffen zu haben, scheint uns Ott sagen zu wollen.Weshalb es denn auch ganz zuletzt über Sonja heißt: „Es ist, als befinde sie sich zum ersten Mal an einem frei gewählten Ort.“

Karl-Heinz Ott: Und jeden Morgen das Meer. Hanser, 145 Seiten, 18 €.

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