Frankfurter Buchmesse Auf der Suche nach literarischen Perlen

Frankfurt · Gänge-Gedränge, Erfolgs- und Zukunftsgeschichten auf dem kriselnden Buchmarkt: Ein Rundgang über die Frankfurter Buchmesse.

Eigentlich ist die Messe eine gigantische Weltbibliothek. Das Absurde ist nur, dass man es sich weder bewusst macht noch diesen Schatz nutzt. In Frankfurt ist zwar auch unendlich viel Mist ausgestellt.Belangloses, Banales, Betuliches. Doch wer nur eine Seite eines Romans von Belang aufschlägt und darin liest, spürt es: Ernstzunehmende Literatur ist gehaltvoller als fast all die Gespräche, die hier auf den Gängen und in den Verlagskojen geführt werden. Nur: Die Bücher, sie bleiben im betäubenden Frankfurter Overkill reine Staffage. Man sieht sie zwar überall, aber man liest kaum  darin in all dem Getöse und Gedränge.

Dabei: Welche Kraft könnte von Frankfurt ausgehen, würden alle, die sich dort den lieben langen Tag lang durch die Gänge schieben, sich gleichzeitig für eine halbe Stunde in eines der Abertausend Bücher versenken – würden all diese Kulturpilger bloß da sitzen, vertieft in die Gedankengänge eines Romans, die Thesen einer Abhandlung? Ein gewaltiges Statement könnte es sein, käme der gesamte Betrieb hier jeden Tag vorübergehend zum Erliegen, zur Besinnung – ganz so, als sei dies hier eine Messe, eine Heilige Messe.

So ist es aber nicht. Doch auch wenn Frankfurt letztlich ein Jahrmarkt der Eitelkeiten und Aufschneidereien, eine gewaltige Werbemaschinerie und ein knallharter Umschlagplatz für Lizenzrechte ist – die hier Versammelten sind immer auch Perlensucher. Man sollte meinen, dass das auf einer Austernbank besonders gut geht. „austernbank“, so heißt Bettina Deiningers kleiner, ganz auf frankophone Literatur abonnierter Verlag. Jedes Jahr bringt sie nur ein (!) Buch heraus – sechs bislang, in „hohen dreistelligen Auflagen“, wie sie sagt. Zwei ihrer Autoren, Eric Fayé und Yamen Manai, sind in Frankreich mit wichtigen Literaturpreisen ausgezeichnet worden – kein schlechtes Händchen also. Deininger, erstmals mit einem Stand auf der Messe, sagt, dass sie als Kleinverlegerin auch selbst Buchhandlungen in ganz Deutschland bereist. Sympathisch-bescheiden meint sie: „Weil ich weiß, dass man wenig Zeit hat, stelle ich das Verlagsprogramm in wenigen Worten vor.“ Die Resonanz ist gut. Sieht also sehr danach aus, dass sich hier ein neuer frankophiler Verlag etabliert hat.

Gleich neben der „austernbank“  steht auf dem Boden der Verlagskajüte des „Secession“-Verlages in Halle 4.1 eine ganze Batterie leerer Rotweinflaschen. Keine Dekoration. Es ist früher Abend, der Verlagsstand inzwischen in Fachkreisen eine Nummer und die Wahlverwandtschaft immer in Trinklaune. 2009 gegründet, hat „Secession“ binnen weniger Jahre ein klares Profil entwickelt und sich einen Namen gemacht. „Secession“ illustriert, ähnlich wie der gleichfalls in Zürich eingetragene, wunderbare Verlag „diaphanes“, dass die deutschsprachige Verlagslandschaft immer noch wächst und durchaus auch kleine Verlage Erfolgsgeschichten schreiben. Deborah Feldmans autobiografische Erzählung „Unorthodox“, eine jüdische Emanzipationsgeschichte, verkaufte sich 70 000 Mal, erzählt Lektor Alexander Weidel. In seinem Berliner Stammcafé hatte Christian Ruzciska, einer der beiden „Secession“-Verleger, Feldman zufällig kennengelernt. So entstehen Bücher: durch Zufälle, Empfehlungen, Kontakte.

Weidel sagt, der Verlag habe noch nie aus unverlangt Zugesandtem etwas gemacht. Was nicht heißt, dass das „Secession“-Trio nicht permanent und international den Ausstoß an Fiktionalem beobachtet. Im nächsten Frühjahr macht man etwa ein Buch, das aus einer Sonntagslangeweile Weidels geboren wurde.  Auf Druckfassungen wartend, surfte er im Netz herum und schaute nach, was Nicole Kidman gerade tat. Sie drehte gerade mit Russel Crowe „Boy erased“, die Coming-Out-Geschichte eines schwulen Baptisten. Weidel besorgte sich den Roman von Garrard Cowley, war elektrisiert – und hörte, dass die Lizenzrechte noch zu haben waren. Eine typische Buchmarkt-Anekdote: Auf Trüffelsuche pflügt man manchmal wochenlang Literaturerde um, manchmal aber fallen sie einem auch ganz unvermittelt vor die Füße.

Womit wir beim Handfesten wären, der latenten Krise des Buchhandels. In den ersten acht Monaten dieses Jahres ist der Umsatz abermals um ein halbes Prozent gegenüber 2016 gesunken. Immer noch erscheint viel zu viel: pro Jahr rund 76 000 Bücher. „Die Flächen werden kleiner, das Angebot wird immer größer“, brachte es neulich Maximilian Hugendubel, Chef der nach Thalia zweitgrößten deutschen Buchhandelskette auf den Punkt. Der stationäre Handel kämpft – nicht nur allein, weil Amazon immer mehr Kundschaft abgrast. Der Buchabsatz ist am Schwinden. Wird also weniger gelesen? Belesen zu werden ist heute wichtiger als belesen zu sein, so viel ist gewiss. Lesungen sind nicht nur auf der Messe ein Magnet, zumindest in größeren Städten ist die Resonanz auf Autoren-Performances riesig. In der „Alten Oper“ in Frankfurt hat gerade Marc-Uwe Kling aus seinem Roman „Qualityland“ vor 2500 Leuten gelesen. Und es sagt viel über den Buchmarkt, wenn man eine ganze Branche durch den Wegfall der Harry-Potter-Konjunktur, rein statistisch betrachtet, nach unten gezogen wird.

Wie aber steht es um die Zukunft des Lesens? Auf der Messe gab es dazu eine Veranstaltung der Internationalen Buchwissenschaftlichen Gesellschaft, die die Ergebnisse der jüngsten Jahrestagung im Literaturhaus München bündelte. Wird die Digitalisierung des Lesens die Kulturtechnik des Lesens verändern? Der Buchwissenschaftler Stefan Salomonsberger, der die Münchner Tagung organisierte, sagt im Gespräch, dass „die alte Linearität der Kette zwischen Produzent, Rezipient und Distribution“ heute schon nicht bestehe. Im Netz sei ein „social reading“ en vogue, bei dem Beiträge unmittelbar kommentiert würden und Intertextualität zum Prinzip werde. Salomonsberger erwartet infolge der technischen Aufrüstung bald eine neue „Leserevolution“. Deren erste vollzog sich im 12. Jahrhundert, als das laute Lesen durch die Einführung von Worttrennung und Interpunktion einem leisen Lesen wich. „Was für uns heute bedrucktes Lesen ist“, meint Salomonsberger, werde in ein paar Jahren vielleicht um ein filmisches oder 3D-animiertes Lesen erweitert werden. „Verteufeln sollten wir das nicht“, sagt der Buchwissenschaftler ganz salomonisch.

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