Auf dem familiären Schlachtfeld

Saarbrücken · „Nacht mit Gästen“ von Peter Weiss ist ein grausames Spiel über eine Welt, in der jeder des anderen Wolf ist. Die Saar-Musikhochschule hat aus der gesellschaftskritischen Parabel aus dem Jahr 1962 nun ein ambitioniertes Musiktheater-Projekt gemacht, das auch in Schulen gespielt werden soll.

 Lisa Ströckens (Mitte) in der tragenden Rolle der Mutter Nacht mit Gästen. Foto: Kerstin Krämer

Lisa Ströckens (Mitte) in der tragenden Rolle der Mutter Nacht mit Gästen. Foto: Kerstin Krämer

Foto: Kerstin Krämer

Eine gelbe Guckkastenbühne mit schräger Ebene und stilisiertem Fachwerk als familiäres Schlachtfeld: Das ist die Kulisse für ein überaus ambitioniertes Musiktheater-Projekt der Hochschule für Musik Saar (HfM). Im Auftrag und mit Unterstützung der Freunde und Förderer der HfM komponierte Stefan Litwin, HfM-Professor für Neue Musik, Klavier und Kammermusik, eine durchgängige Musik zu Peter Weiss' Einakter "Nacht mit Gästen". Nun wird das Stück unter seiner Leitung mit Studenten unterschiedlichen Ausbildungsstands aufgeführt - Anlass ist der 100. Geburtstag des Nachkriegs-Literaten (1916-1982). "Nacht mit Gästen" (1962) ist der erste Text, den Weiss für die Bühne schrieb in der Absicht, die Form der Schaubude wieder zu beleben: eine in Knittelversen verfasste, grausige Moritat über Egoismus und das Töten aus Gewinnstreben; eine gesellschaftskritische Parabel, in der ein Geiselnehmer eine Familie korrumpiert.

Dem Holzschnitthaften dieses im Brechtschen Sinne verfremdeten Lehrstücks tragen Musik und Inszenierung Rechnung. Litwin begreift seine Komposition für achtköpfiges Kammerensemble denn auch ausdrücklich nicht als Oper ("Oper psychologisiert"), sondern als "durchkomponiertes Musiktheater", das viele der von Weiss selbst angeregten Ideen aufgreift. So schwebte Weiss eine Realisierung mit "jahrmarkthaften Instrumenten" vor - Litwin vertraut auf eine metallisch-blecherne Orchestrierung, die, mit Banjo und Stabspiel etwa, an die proletarische Ästhetik von Weill/Eisler erinnert.

Das Original-Libretto hat Litwin stark rhythmisiert und zahlreiche musikalische Zitate und Abzählreime integriert. Ebenso finden die von Weiss angedachten Elemente des Kasperle-Theaters und des japanischen Kabuki-Theaters Eingang in die Inszenierung. Regie führt Frank Wörner, HfM-Professor für Gesang. Er setzt auf grelles Make-Up, teigige Perücken, zweidimensionale Masken und ebensolche Requisiten (Ausstattung: Annette Wolf), um das Possenhafte und die Holzschnittartigkeit der Charaktere zu betonen. "Das Zweidimensionale zwingt die sechs Darsteller zu marionettenhaftem Spiel und verhindert, dass sie dem Naturalismus verfallen", erläutert Wörner. Die Komik entsteht durch Überzeichnung und Verdopplung, doch hinter der lustigen Fassade lauert das Grauen.

Ein wichtiges Anliegen der Produktion ist der Vermittlungsgedanke: "Nacht mit Gästen" ist als mobile Produktion für Schüler ab der neunten Klasse konzipiert. Für die Vorbereitung stehen Materialmappen zur Verfügung, zur Nachbereitung ist im Anschluss an die Schulvorstellungen (ab November) jeweils ein moderiertes Gespräch geplant. Wenn alles gut läuft, soll das Musiktheater ab nächstem Frühjahr sogar auf der Straße und verschiedenen Festivals gezeigt werden.

Uraufführung morgen, 20 Uhr, im HfM-Konzertsaal. Weitere Termine: Sa/So, 22./23. Oktober. Begleitend gibt es ein Podiumsgespräch mit Peter Weiss' Witwe Gunilla Palmstierna-Weiss am Sa, 22. Oktober, 13.30 Uhr, in der Buchhandlung Hofstätter.

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