Kolumne „Nostalgisch“ Arm, aber glücklich quer durch Europa mit der Bahn

Früher war vermeintlich alles besser. Oder doch nicht? Beim Rückblick auf die 70er, 80er und 90er werden SZ-Redakteure „nostalgisch“. Heute geht's um das „Interrail-Ticket“ der Bahn, mit dem Horden junger Leute einst Europa eroberten.

Es ist Sommer – Urlaubszeit! Dieses Mal geht es in die Toskana, relativ bequem in der Familienkutsche, quengeliger Nachwuchs wird hinten per Auto-Fernseher und Süßigkeiten ruhig gestellt. Vor 27 Jahren (Hilfe! Das ist mehr als ein Vierteljahrhundert!) war ich schon mal in der Toskana. Mit der Bahn, einem vollgestopften Rucksack und meiner besten Freundin aus Amerika. Wir Mädels waren noch lange keine Mütter, sondern frei wie der Wind mit unseren Interrail-Tickets in der Tasche und der Abenteuerlust im spätpubertierenden Herzen. Allerdings sahen wir auch nicht aus wie die junge Frau, die die damalige „Bundesbahn“ angeheuert hatte für einen ziemlich schrägen Werbefilm, den ich gerade auf Youtube wiedergefunden habe: Denn keine Geringere als die schwarzhaarige, blutjunge, bildschöne Catherine Zeta-Jones warb 1990 für das Interrail-Ticket der Bahn! Die spätere Oscar-Preisträgerin lässt sich in dem Spot als Teenager im pinken Kleidchen von einem jungen Kerl vom elterlichen Kaffeetisch weg vor einem schnöseligen Verehrer retten, rast mit ihm im Käfer zum Bahnhof, um dann mit der noch cooleren Eisenbahn durchzubrennen. „Interrail“ – das Ticket in die Freiheit!

Wie gesagt, wie die Zeta-Jones – sowieso nicht gerade der Inbegriff des deutschen Durchschnitts-Teenies – sahen wir nicht aus, als wir auf Europareise gingen. Statt im Käfer fuhren wir aber immerhin in der grünen Ente eines Bekannten mit nach Paris, unserem ersten Stopp. Meine Oma hatte uns praktische schwarze Stretch-Miniröcke genäht, in denen wir gleich am zweiten Abend in die Alte Oper stolzierten auf unsere Stehplätze, letzte Reihe. Ein echter Luxus. Den einzigen Liegewagen-Platz gönnten wir uns auf der langen Fahrt von Paris nach Madrid. In St. Tropez schliefen wir auf den Klippen, in Nizza auch mal vor dem Bahnhof. Und in der Toskana gab es meist nur noch Wasser, Brot und eine Kugel sündhaft teures Eis am Tag. Unser Budget war fast aufgebraucht, aber wir konnten uns ja in Florenz und Pisa an den Kunstschätzen laben – uns aber nicht satt sehen. Ja, das war schön, so ohne Geld, aber mit vielen anderen, die genauso arm (und hungrig) durch Europa zogen, sich in die zweite Klasse quetschten und sich allabendlich auf den berühmtesten Plätzen Europas einfanden, wo immer ein paar Leute ziemlich gut Gitarre spielten.

 Camille Parker und Esther Brenner (r.) am 1. Juli 1990 beim Start ihrer Interrail-Tour durch Europa in Paris.

Camille Parker und Esther Brenner (r.) am 1. Juli 1990 beim Start ihrer Interrail-Tour durch Europa in Paris.

Foto: Esther Brenner

Jetzt also wieder in die Toskana. Ganz bürgerlich ins gediegene Ferienhaus mit Pool, Aussicht, guten Freunden und insgesamt acht Kindern. Die haben unsere alten Rucksäcke bereits geerbt und üben schon mal in der wohnortnahen Kinderfreizeit die Elternfreiheit. Sollte sich das EU-Parlament doch noch durchsetzen mit seiner originellen Forderung nach „Interrail für alle“, könnten sie mit 18 auf EU-Kosten auf Reise gehen. Das wäre gut angelegtes Geld.

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