Kinoregisseur John Madden über Meinungsmache in den USA Amerika und seine heilige Waffenlobby

Saarbrücken · Der Politthriller „Die Erfindung der Wahrheit“ blickt hinter die Kulissen der Meinungsmache in den USA.

 Szene aus John Maddens hintergründigem, äußerst aktuellem Film  „Die Erfindung der Wahrheit“ mit Jessica Chastain als Waffenlobbyistin Elizabeth Slone (unsere Szene zeigt sie bei einer Teambesprechung).

Szene aus John Maddens hintergründigem, äußerst aktuellem Film  „Die Erfindung der Wahrheit“ mit Jessica Chastain als Waffenlobbyistin Elizabeth Slone (unsere Szene zeigt sie bei einer Teambesprechung).

Foto: Courtesy of EuropaCorp Films

John Maddens „Die Erfindung der Wahrheit“ hinterfragt am Beispiel der Waffenlobby politische Einflussnahme in Washington.

Elisabeth Sloane ist eine Lobbyistin, die in keinster Weise um Sympathien buhlt. Wie bringt man eine solche Figur dem Publikum nahe?

MADDEN Es ist nicht die Aufgabe eines Regisseurs, Filme über liebenswerte Menschen zu machen. Aber es ist unsere Pflicht, die Menschlichkeit in jeder Figur zu zeigen. Elisabeth ist eine Figur, die diese fast ganz beiseite geschoben hat, weil sie ihrem obsessiv ausgeübten Beruf im Wege steht. Dennoch bauen wir zu ihr eine Beziehung auf, weil sie das tut, was uns alle definiert: Fehler.

Sie verzichten auf jegliche Psychologisierungen. Weshalb?

MADDEN Elisabeth ist eine Frau, die immer auf eigene Rechnung arbeitet. Sie hat nicht das Bedürfnis sich zu erklären. Die Hollywood-Orthodoxie, die ein Kindheitstrauma aus dem Hut zaubert, um das Publikum auf die Seite der Protagonistin zu ziehen, ist mir zu langweilig. Außerdem ging es uns darum, dass das Publikum der Geschichte voll und ganz auf der Gegenwartsebene folgt, in der man nur das erfassen kann, was man sieht. Diese Erzähldisziplin war mir sehr wichtig.

Hätte der Film mit einer männlichen Hauptfigur funktioniert?

MADDEN Nein. Der emotional dysfunktionale Outlaw, der sich gegen das System stellt, ist eine allzu klassische Figur des amerikanischen Kinos. Dass es hier eine Frau ist, macht es sehr viel interessanter.

Inwieweit ist die Figur davon geprägt, dass sie sich als Frau in einer männerdominierten Welt durchsetzen muss?

MADDEN Es gibt viele mächtige Frauen im politischen Establishment in Washington, aber sie sind immer noch in der Minderheit. Und wir haben gerade erlebt, wie eine Frau, die glaubte, ins Weiße Haus einziehen zu können, systematisch dämonisiert und entwertet wurde. Elisabeth Sloane ist eine Frau, die sich nie über ihre Geschlechtszugehörigkeit definieren würde. Aber natürlich hat sie ihr Handwerkszeug in einer Männerwelt gelernt, in der sie sich ihren Platz erkämpfen musste. Aber sie wendet keinerlei „weibliche“ Tricks an, sondern arbeitet mit Überredungskunst und gezielten Überraschungen. Der Film versteht sich weder als feministisches Traktat noch als politische Polemik.

Wie nah ist der Film an der politischen Realität in Washington?

MADDEN Natürlich arbeiten nicht alle Lobbyisten mit solch harten Bandagen. Aber wir wollten zeigen, wie die politischen Narrative kontrolliert werden. In dieser Hinsicht ist die US-Waffenlobby ungeheuer erfolgreich. Sie hat immer wieder die Kontrolle der öffentlichen Diskussion um dieses Thema erlangt. Kein Mensch außerhalb der USA versteht, warum es über Jahrzehnte kein Gesetz durch den Kongress geschafft hat, das den Waffenbesitz im Land reguliert. Wie wichtig die Kontrolle der Narrative ist, wird in der aktuellen politischen Situation immer deutlicher. Fake-News und das postfaktische Zeitalter sind unmittelbare Resultate dieser manipulativen Bestrebungen. Wir leben in einer Zeit, in der es keinen Respekt mehr vor dem politischen Diskurs gibt.

Trump und Brexit zeigen, dass sich die Menschen aus guten Gründen, aber mit fatalen Folgen vom Establishment abwenden. Wo verortet sich in diesem Zusammenhang Ihr Film, der mit dem politischen System der USA hart ins Gericht geht?

MADDEN Es ist nicht einfach, heute einen Film über das Wesen der Politik zu machen. Es gibt einen hohen Grad von Angewidertsein und Demoralisierung gegenüber Politik. Aus europäischer Sicht existiert ja eine heimliche Faszination gegenüber dem amerikanischen Politiksystem und der Art, wie es gerade zerfällt. Es ist, als würde man einem riesigen, dramatischen Autounfall zuschauen. Wir leben in einer Zeit der Demagogie, in der die Menschen nicht mehr wissen, wem sie vertrauen können. Alle Narrative, die ihnen präsentiert werden, erscheinen verdächtig. Man zieht sich zur Erholung in die eigenen Echokammern zurück, in denen die Menschen genauso denken wie man selbst – das ist eine gefährliche Tendenz, die zur Polarisierung der Gesellschaft führt.

Ab Donnerstag in der Camera Zwo (Sb) zu sehen.

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