50 Jahre Farbfernsehen Als Willy den roten Knopf drückte

Saarbrücken · Vizekanzler Brandt brachte im August 1967 höchstpersönlich Farbe in deutsche Wohnzimmer – und wurde Teil einer historischen Panne.

 Und es werde bunt: Der damalige Vizekanzler Willy Brandt startet auf der 25. Deutschen Funkausstellung 1967 mit einem Knopfdruck das Farbfernsehen. Damals konnten sich jedoch nur wenige ein Farb-Gerät leisten.

Und es werde bunt: Der damalige Vizekanzler Willy Brandt startet auf der 25. Deutschen Funkausstellung 1967 mit einem Knopfdruck das Farbfernsehen. Damals konnten sich jedoch nur wenige ein Farb-Gerät leisten.

Foto: dpa/Willi Gutberlet

Humphrey Bogart wendet sich Ingrid Bergman zu, schaut sie mit seinen durchdringenden, dunkelgrauen Augen an, sein fast schwarzes Haar ist nach hinten geölt, die Haut gut gegraut von der hellgrauen Sonne über Los Angeles. Und dann sagt er den berühmten Satz: „Ich seh dir in die (dunkelgrauen) Augen, Kleines.“

„Casablanca“ – das waren noch unvergessliche Film-Momente und nicht dieser amerikanische bunte Fernseh-Quatsch. Es ist völlig unklar, wie viele Deutsche am 25. August 1967 um 10:57 diesen Gedanken hatten, als sie vor ihrem Fernseher saßen. Doch so mancher Bürger sehnte sich in diesem Augenblick die gute alte Schwarz-Weiß-Filmzeit zurück. Dabei dauerte die Farb-Revolution der Mattscheibe erst wenige Momente. Offiziell eingeleitet hatte das neue Zeitalter auch ein Frauenschwarm: Willy Brandt. Leider mit einer Panne. Denn, als der Vizekanzler mitten auf der IFA-Messe den in Kalter-Krieg-Zeiten symbolischen roten Knopf (oder weiter grauen Knopf, je nach Empfangsgerät zu Hause) drückte, schaltete ein Techniker Sekunden zu früh auf Farbe um.

Alle sahen: Der Knopf war nur eine Attrappe. Alles nur Show. Kein Wunder, fand da manch politisch Schwarzer, traute er doch gerade dem roten Sozen Brandt quasi alles zu. Wenige Stunden später war der Aufreger erstmal vergessen. Denn da vereinte der notorisch gut gelaunte Vico Torriani politisch zerstrittene Familien auf der Couch mit seiner Sendung „Der goldene Schuss“. Sie erstrahlte erstmals in Farbe. Genau wie am selben Abend der französische Streifen „Cartouche, der Bandit“ mit Jean-Paul Belmondo und Claudia Cardinale. Das bunte Fernsehen bahnte sich trotz des fulminanten Auftakts nur schleichend seinen Weg in die Wohnzimmer. Weil sich beispielsweise nur gut 35 000 Haushalte anfänglich ein Farbfernsehgerät leisten konnten. Die Bildschirme kosteten gut und gerne mal bis zu 4000 Mark. Fast so viel wie ein preiswertes Auto. Auch gab es nicht so viele Sendungen in Farbe. Die Shows sind teuer zu produzieren, zwangen Sender mit knappem Budget wie den SR zu kreativen Lösungen mit viel Bastel-„Heimarbeit“, wie der Sender einst berichtete. Und so kamen Flaggschiffe wie die „Tagesschau“ erst ab 1970 farbig.

Deutschland war zudem kein Vorreiter der aufregenden neuen Fernsehwelt. In den USA wurde als weltweit erstem Land bereits 1954 das Farbfernsehen eingeführt. Grundlage war dort die „NTSC-Farbcodierung“, die aber nicht immer überzeugen konnte. In Europa wurde deshalb an neuen Techniken gearbeitet. In Frankreich entstand 1956 das System Secam. Deutschland setzte jedoch auf das Phase-Alternation-Line-System (PAL), das Walter Bruch beim Telefunken-Konzern entwickelte. Auf dessen Wunsch wurde seine Technik nicht nach ihm benannt. „Wollen Sie denn, dass unser Fernsehen künftig Bruch-Fernsehen heißt?“, witzelte er. Später übernahmen viele Länder weltweit das deutsche System. Nicht die DDR. Dort flimmerten die Sendungen noch bis zum 3. Oktober 1969 ganz in Grau. Dann wurde auf Secam umgestellt. Das war nicht mit PAL kompatibel – und das Westfernsehen war in Farbe nicht empfangbar.

Zum Durchbruch des Farbfernsehens verhalf König Fußball. Genau wie heute versetzte er auch früher schon im Vorfeld von Sport-Großereignissen die Händler in Goldgräberstimmung. Und so wurden Anfang der 70er Jahre bis zur Fußball-Weltmeisterschaft 1974 jährlich 1,4 Millionen moderne Geräte verkauft.

Diese rasante Entwicklung rief die Bedenkenträger auf den Plan. Sie warnten vor körperlichen Schäden durch „stundenlanges Sitzen in verhockter Haltung“, vor „unkontrollierter Aufnahme von Speisen und Getränken“ und, dass die bunten Bilder unser Bewusstsein für immer verändern werden. Nicht zu Unrecht. Klar, Deutschland ist nicht zu einer Nation buckliger Fernsehmutanten geworden. Aber Massen an Süßigkeiten gehören fest zu einem Abend vor der Glotze. Und wir träumen tatsächlich anders, seit es Farbfernsehen gibt. Das haben schottische Forscher der Universität Dundee herausgefunden. Menschen, die noch mit Schwarz-Weiß-Geräten aufgewachsen sind, fantasieren nachts noch bis zu einem Viertel in Schwarz-Weiß.

 Mit „Der goldene Schuss“ brachten Vico Torriani und seine Assistentinnen (v. l.) Ina, Barbara und Alexandra erstmals Farbe in die Wohnzimmer.

Mit „Der goldene Schuss“ brachten Vico Torriani und seine Assistentinnen (v. l.) Ina, Barbara und Alexandra erstmals Farbe in die Wohnzimmer.

Foto: dpa/Konrad Giehr

Vielleicht sogar von Bogart oder Bergman. Wie wird sich auf unsere Träume die virtuelle Realität, der diesjährige IFA-Trend, ausüben. Einmal die berühmte Kuss-Szene gefühlt hautnah erleben, hat schon was – egal, ob bunt oder grau.

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