Oscar-Preisverleihung Dicke Überraschungen, die Rückgrat zeigen

Los Angeles · Oscar-Verleihung: Netflix-Film „Roma“, Tragikomödie „Green Book“, Queen-Film „Bohemian Rhapsody“ räumen ab.

  „Roma“-Regisseur Alfonso Cuaron, gekürt für die beste Regie.

„Roma“-Regisseur Alfonso Cuaron, gekürt für die beste Regie.

Foto: dpa/Chris Pizzello

(kna/ap) Zu Beginn bebte die Bühne des Dolby Theatre in Los Angeles – dank Brian May und Roger Taylor von Queen. Ergänzt um US-Sänger Adam Lambert, der die Gesangsparts des toten Freddie Mercury übernahm, spielten die verbliebenen Queen-Musiker „We Will Rock You“ und „We Are The Champions“ – als gelte es, einer verschreckten Branche trotzig Trost zuzusprechen. Es war ein Einstieg mit Symbolwert in die Gala eines Filmpreises, der im 91. Jahr einen neuen Vorstoß unternahm, seine oft angezweifelte Relevanz unter Beweis zu stellen.

Denn längst macht die Academy of Motion Picture Arts and Sciences nicht mehr nur mit den Oscars Schlagzeilen, sondern auch mit dem verblüffenden Mangel an Gespür für Neuerungen und mit oft kopflos anmutenden Reaktionen auf Kritik. Den größten Ärger zog sie sich jetzt mit der Wahl von Kevin Hart als Moderator der Oscar-Gala zu. Nachdem der US-Komiker wegen früherer homophober Witze ins Kreuzfeuer geraten war, ließ sich die Academy auf ein Experiment ein: erstmals seit 30 Jahren eine Oscar-Verleihung ohne Moderator. Eine Fehlentscheidung: Die Möglichkeit, nominierte und auch nicht-nominierte Werke in das aktuelle Klima von Filmwelt und Politik einzuordnen, fehlte 2019.

Dass die Britin Olivia Colman mit ihrer einfühlsamen Darstellung der launischen Königin Anne in „The Favourite“ Glenn Close als beste Hauptdarstellerin übertrumpfte, gehörte zu den größten Überraschungen. Krankte die 2018er-Ausgabe an dem Widerspruch, viel von der Gleichheit der Geschlechter zu reden, um am Ende so wenige Frauen wie selten auszuzeichnen, so war es diesmal anders: Von der Song-Kategorie über Ausstattung, Kostüme, Tonschnitt, Maskenbild bis zu Kurzfilm- und Dokumentarpreisen gab es zahlreiche Preisträgerinnen. Die Hauptkategorien aber blieben männerdominiert. So heimste das Queen-Porträt „Bohemian Rhapsody“ die meisten Preise ein: für Schnitt, Ton, Tonschnitt und die fulminante Leistung des Freddie-Mercury-Darstellers Rami Malek. Der ägyptischstämmige US-Schauspieler war es auch, der eine der wenigen erinnerungsträchtigen Dankesreden beisteuerte: Er schlug einen Bogen von den Erfahrungen seiner Familie als Migranten zur wachsenden Akzeptanz homosexueller Charaktere beim Filmpublikum.

Wahrscheinlich ist es die schönste Erkenntnis dieser Verleihung, dass sich die Academy nicht von negativer Stimmungsmache gegen die beiden größten Gewinner des Abends beeinflussen ließ. Mit dem Dreifach-Gewinn für Alfonso Cuarons ergreifendes Familiendrama „Roma“ (beste Regie, beste Kamera, bester nicht-englischsprachiger Film) hat sich Netflix endgültig einen Platz im Kreis der Oscar-Familie erobert. Positiv stimmt die Auszeichnung des Freundschafts- und Rassismus-Dramas „Green Book“ als bester Film, für das beste Drehbuch und für Nebendarsteller Mahershala Ali. Nicht deshalb, weil sich über die Glätte des Films nicht streiten ließe, sondern weil die „Academy“ damit ihre Unabhängigkeit von Meinungsmachern aus dem Netz demonstrierte. Keine andere Nominierung war derart mit lautstarken Diffamierungs- und Hassattacken überzogen worden. Diese Taktik ist bei „Green Book“ am Rückgrat der Academy-Mitglieder gescheitert, die ihren Favoriten nicht einer anonymen Wutmasse opferten.

 Der mit „BlacKkKlansman“ ebenfalls in der Königskategorie nominierte Regisseur Spike Lee verließ nach der Bekanntgabe beinahe den Saal. Er und andere Kritiker sahen die Tragikomödie von Peter Farrelly als klischeebeladene Neuauflage von „Miss Daisy und ihr Chauffeur“ mit vertauschten Rollen. In „Green Book“ spielt Mahershala Ali einen afroamerikanischen Pianisten, der in den 60ern mit seinem weißen Fahrer (Viggo Mortensen) in den Süden der USA reist, wo die Ausgrenzung der Schwarzen noch Alltag ist. Ähnlich wie Miss Daisy (Jessica Tandy) und ihr Chauffeur (Morgan Freeman), 1990 als bester Film gekürt, werden beide gute Freunde. „Immer wenn irgendjemand wen fährt, verliere ich“, sagte Lee mit Blick auf seinen 1990 ausgebooteten Film „Do the Right Thing“ mit einem Glas Champagner in der Hand. „Das ist mein sechstes Glas – Sie wissen warum.“

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