Interview Walter Momper „Ich dachte, das können die nicht machen“

Berlin · Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister erzählt, wie der Bau und der Fall der Mauer die Menschen in der Hauptstadt verändert haben.

 Walter Momper war von 1989 bis 1991 Regierender Bürgermeister in Berlin.

Walter Momper war von 1989 bis 1991 Regierender Bürgermeister in Berlin.

Foto: imago images/Eibner/imago stock

Der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Walter Momper (SPD), blickt zurück auf den Mauerbau am 13. August 1961. Noch mehr geprägt habe die Stadt dann 28 Jahre später der Mauerfall, so der heute 76-Jährige. Er war der Mann mit dem roten Schal.

Herr Momper, wo haben Sie den Mauerbau erlebt?

MOMPER Ich war zu Hause in Bremen mit meiner Großmutter. An dem Sonntag waren meine Eltern nach Dänemark gefahren, um ein paar Tage Urlaub zu machen. Da habe ich das gehört vom Beginn des Mauerbaus. Ich war damals 16 Jahre alt und schon politisch interessiert. Und wie viele habe ich gedacht, das kann nicht sein, das können die nicht machen.

Aber sie haben es gemacht.

MOMPER Ja, sie haben es gemacht. Und sie haben bewiesen, dass es geht. Dass man mit einer Mauer eine Stadt wie Berlin und in der Folge ein ganzes Land teilen kann. Unter unendlich vielen Opfern.

Glaubten Sie Walter Ulbricht den Satz: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“?

MOMPER Geglaubt habe ich ihm nicht. Ulbricht konnte man nicht ernst nehmen. Er und seine Genossen logen sowieso den ganzen Tag. Insofern war der Satz nichts Besonderes. Ich habe aber auch nicht angenommen, dass es zum Mauerbau in der Form kommen würde, wie wir ihn dann erlebt haben. Weil ich es für unmöglich hielt, die Straßen zu trennen, die U-Bahn, die Kanalisation. Und die Menschen.

Sie sind dann 1964 mit 18 Jahren nach Berlin gekommen. Wie hat die Stadt damals auf Sie gewirkt?

MOMPER Ich fand die Situation in und um Berlin, sozusagen mit der demokratischen Insel im roten Meer, sehr spannend. Ich wollte alles mit eigenen Augen sehen. Wenn man aus Westdeutschland kam, hatte man sich schnell an die Mauer gewöhnt. Ich jedenfalls. Aber es gab auch einige Mitstudierende, die einen Mauerkoller bekamen, die es nicht ertragen konnten, in einer eingemauerten Situation leben und 150 Kilometer bis nach Helmstedt fahren zu müssen. Einige haben deshalb Berlin schnell wieder verlassen.

Wie hat der Mauerbau die Berliner verändert?

MOMPER Die Sorgen und Ängste der Menschen waren in der Zeit überall spürbar. Es gab kaum ein anderes Thema, weil unzählige Berliner Familien auseinandergerissen waren. Für sie war der Mauerbau einfach nur bitter. Sie konnten auch nicht einfach nach Ostberlin gehen, um Verwandte zu besuchen. Wir aus Westdeutschland aber schon. Dann haben wir oft für deren Verwandtschaft drüben was mitgenommen.

Haben Sie damals geahnt, dass die Mauer lange stehen bleiben würde? Am Ende waren es 28 Jahre.

MOMPER Ich habe sogar gedacht, die Mauer wird noch länger stehen. Als dann die demokratische Bewegung in der DDR stark wurde merkte man, da verändert sich was, auch die Mauer gerät langsam ins Wanken. Vor 1989 habe ich jedenfalls nicht damit gerechnet.

Wie ist denn versucht worden, nach ihrem Bau die Mauer etwas durchlässiger zu machen?

MOMPER Da hat es viele Möglichkeiten geben. Nicht nur durch Tunnel, die anfangs noch gegraben wurden. Im Laufe der Jahre bildeten sich zahlreiche Ost-West-Verbindungen durch die Kirchen, durch persönliche Besuche, soweit das eben ging. Gerade die West-Berliner waren immer interessiert an der DDR und haben versucht, Kontakte zu halten. Auch gab es kulturellen Austausch, freilich nicht im großen Stil. Das alles hat dazu geführt, dass der Zusammenhalt der Nationen doch stärker war, als viele das angenommen hatten.

Sie waren dann Regierender Bürgermeister, als die Mauer fiel. „Berlin, nun freue dich“, haben Sie damals gesagt...

MOMPER …und das finde ich nach wie vor. Wir können uns als Berliner, als Deutsche immer noch freuen, dass die Mauer gefallen ist; dass wir so friedlich wieder zusammengekommen sind. Dass nicht geschossen wurde, keiner von der Stasi am nächsten Baum aufgeknüpft wurde. Ich sage gerne, es waren preußische Disziplin und protestantische Ordnung, die dazu geführt haben.

Haben zu viele Menschen die Folgen des Mauerbaus vergessen?

MOMPER Ja. Das Leid von damals ist vielfach in Vergessenheit geraten. Aber wir müssen uns immer daran erinnern. Nach dem Mauerfall war es für die Ostdeutschen ein ganz schöner Aufwand, in einer anderen Welt zu leben, in einem anderen gesellschaftlichen System. Die Mentalitäten von Mecklenburgern und Bayern oder von Ostfriesen und Sachsen sind halt anders. Wir haben Unterschiede im Land. Das soll auch so bleiben.

Was hat die Stadt stärker geprägt, der Mauerbau oder der Mauerfall?

MOMPER Eindeutig der Mauerfall. Berlin konnte wieder Berlin sein. Und damit meine ich eine moderne, weltoffene, liberale Metropole, in der immer wieder Neues entsteht. Dadurch ist Berlin weltweit so interessant.

Gibt es noch den roten Schal, der während der Wendezeit 1989 Ihr Markenzeichen gewesen ist?

MOMPER Ja, den habe ich noch. So lange ich lebe, gebe ich den auch nicht ins Museum.

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