Interview „Reine Appelle an Verstand und Einsicht haben keine Wirkung“

Bremen · Hirnforscher Gerhard Roth zum Umgang mit Corona-Hygieneregel und den Verweigerern

Hirnforscher Gerhard Roth zum Umgang mit Corona-Hygieneregel und den Verweigerern
Foto: dpa-tmn/Marijan Murat

Verstand und Moral reichen nach Auffassung des Bremer Biologen und Hirnforschers Gerhard Roth nicht, um Menschen bei der Stange zu halten, wenn es darum geht, die Hygieneregeln in der Corona-Pandemie weiter zu beherzigen. Besonders schwierig sei der Umgang mit einem „harten Kern“ Unbelehrbarer, denen Rücksichtnahme und Fakten völlig egal seien, sagte der Neurowissenschaftler dem Evangelischen Pressedienst (epd). Ein Gespräch über Ängste vor dem Virus, dem Kick im Hirn und Klartext in der Kommunikation.

epd: Herr Roth, wir sind in der Corona-Pandemie nun schon seit einigen Monaten aufgefordert, die Regeln zum Infektionsschutz einzuhalten. Und das wird auch noch eine ganze Weile so weitergehen. Stumpft da Routine ab, wirkt insofern die neue Normalität verhängnisvoll?

Roth: Ich sehe da drei ganz unterschiedliche Typen. Die einen bleiben bei der Stange, andere werden immer panischer, weil sie die Unsicherheit nicht ertragen und die Risiken nicht kennen. Und die Dritten stumpfen ab. Hier sind es besonders diejenigen, die am Anfang erregt waren, die Erlebnishungrigen, die gedacht haben, jetzt ist was los, das macht sogar Spaß. Aber dann wird das langweilig und nach kurzer Zeit macht man genau das Gegenteil von dem, was eigentlich gefordert ist, weil der Kick fehlt.

epd: Was passiert da bei so einem Kick im Hirn erlebnishungriger Menschen, wie Sie sie nennen?

Roth: Da wird ein Gemisch ausgeschüttet aus dem Aufregungsstoff Dopamin und hirneigenen Belohnungsstoffen, den sogenannten Opioiden. Das bewirkt, dass man sich aufregt, diese Aufregung aber gleichzeitig als sehr positiv empfunden wird. Was da wo im Hirn passiert, kann man mit bildgebenden Verfahren sehr schön zeigen, zum Beispiel bei Spielsüchtigen, wenn es um den höchsten Einsatz geht.

epd: Trotz der ganz unterschiedlichen Typen, die Sie gerade beschrieben haben: Wie lassen sich möglichst viele Menschen davon überzeugen, Regeln wie Abstand, Hygiene und Alltagsmaske einzuhalten, damit ein neuerlicher Lockdown vermieden wird?

Roth: Die meisten Menschen sind leicht bei der Stange zu halten, 80 Prozent brauchen da gelegentlich nur eine kurze Auffrischung. Und die Überängstlichen, das sind vielleicht zehn Prozent, schaden der Sache ja nicht. Wirklich gefährlich sind die letzten zehn Prozent, die sogenannten Sensation Seekers, die den Kick suchen und übrigens auch dann protestieren, wenn der Staat nichts machen würde. Denn diesen Menschen geht es ja gar nicht um Inhalte. Wie soll man sensationsgierige Leute überzeugen, wenn ihnen die Sache an sich völlig egal ist? Die kann man zum größten Teil nur abschrecken. Aber wiederum zehn Prozent aus dieser Gruppe beeindruckt gar nichts. Die muss man eventuell einsperren, bei aller humanistischen Gesinnung. Da ist nur Staatsmacht und Polizeiauftritt wirksam, wenn überhaupt. Damit müssen wir bedauerlicherweise leben.

epd: Das heißt, für die Unbelehrbaren, die den Kick suchen und im Bus keine Maske aufsetzen, wäre die sofortige Geldstrafe die richtige Sanktion?

Roth: Was den harten Kern angeht, ja. Das wird ihr Verhalten allerdings nicht ändern. Denn Argumente wie Rücksichtnahme auf ältere Leute sind ihnen ja völlig egal. Und sie testen auch aus: Wie weit geht der Staat? Aber das sind zum Glück nur wenige und der Staat muss lernen, mit ihnen umzugehen.

epd: Wirken aus Ihrer Sicht Kampagnen wie die AHA-Plakate, die uns gerade Abstand, Hygiene und Alltagsmaske als Corona-Vorsorge eintrichtern sollen?

Roth: AHA ist eigentlich viel zu intellektuell, denn die Formel muss ich entziffern. Man darf die psychisch-emotionale Schlichtheit dieser Denkvorgänge nicht unterbewerten. Man muss ganz klar kommunizieren, eher in einem warnenden Ton: Leute, einen zweiten Lockdown können wir uns nicht leisten. Ganz einfach gesagt: Reine Appelle an Verstand und Einsicht haben überhaupt keine Wirkung. Das ist eine hirnphysiologische Tatsache. Die Zentren nämlich, in denen unser Verstand arbeitet, haben gar keine intensiven Verbindungen zu den Bereichen, die unsere Gefühle bestimmen und unser Handeln steuern. Umgekehrt wäre es schon so, dass die Gefühle unser Denken in den Griff bekommen und etwa Panik auslösen können. Aber der Weg von der Ratio runter auf die Gefühle und auf das Handeln, das ist ziemlich unwirksam. Wer eine nachhaltige Reaktion auslösen will, muss also immer auch Emotionales zufüttern. Bei den Einsichtigen muss das nicht der emotionale Vorschlaghammer sein, aber bei anderen schon. Da geht es nur mit Drohungen, Angst und Schrecken.

epd: Wirken moralische Appelle?

Roth: Aufrufe im Sinne von Immanuel Kants Appell, dass du das Sittengesetz als eine für den vernunftbegabten Menschen einsichtige und verpflichtende Ordnung beachten sollst, die wirken nicht. Moralische Appelle funktionieren nur, wenn sie mit der Drohung der Ausgrenzung verbunden sind. Denn diese gehören zu den wirksamsten Drohungen, die es gibt. Wenn Menschen sagen, so ein Verhalten ist unerwünscht, und wenn ihr das tut, gehört ihr nicht mehr dazu, dann schadet ihr der Gesellschaft und insbesondere euren Eltern und Großeltern und letztlich euch selbst - das fürchten die allermeisten Leute. Das wirkt. Jedenfalls mehr als die Erklärung, aus medizinischen Gründen müsst ihr Abstand halten.

epd: Um sich an die Regeln zu halten, könnte ja die Zuversicht helfen, wir packen die Krise, wenn wir solidarisch sind. Lässt sich Zuversicht lernen, trotz möglicherweise wieder steigender Infektionszahlen und wirtschaftlicher Schwierigkeiten?

Roth: Es gibt Leute am linken Rand der Gauß-Kurve, die können das nicht lernen, die sind pessimistisch. Aber es gibt viele Menschen, die von Natur aus wenig zuversichtlich sind, die Zuspruch brauchen. Wenn man diesen Zuspruch richtig vorbringt, nicht belehrend, sondern aufmunternd, das bewirkt schon viel. Wie gesagt, das funktioniert natürlich nur bei denen, die im Prinzip empfänglich sind. Und es muss eine persönliche Botschaft sein, auf den jeweiligen Menschen bezogen, nicht in der Art, es wird schon alles gutgehen.

epd: Sie haben ihren zweiten Wohnsitz in Italien und kennen das Land seit Ihrer Studienzeit gut. Die Italiener waren zu Beginn der Pandemie ja massiv betroffen und hatten zunächst viele Tote zu beklagen. Wir erinnern uns noch an die Bilder aus der Lombardei, als Särge mit Militärlastwagen abtransportiert wurden. Wie gehen die Italiener jetzt mit der Pandemie um?

Roth: Ich denke, das Beispiel Italien sollte viel bekannter sein. Die Italiener sind inzwischen zu fanatischen Befolgern der Vorsichtsmaßnahmen geworden. Ich war gerade sechs Wochen dort und wurde immer ermahnt, dass ich auch draußen auf der Straße eine Maske trage. Selbst Handschuhe gehören in vielen Geschäften zum Alltag. Immer und überall wird man überwacht, im Supermarkt wird die Körpertemperatur gemessen. Die Italiener nehmen die Pandemie nach längerem Zögern sehr ernst und haben viel niedrigere Infektionszahlen als wir in Deutschland. Dass ein Land, dem man das nicht zugetraut hat, sich so strikt an die Regeln hält - das ist doch toll.

(epd)
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