Winter wird kalt und teuer Was ein Gas-Stopp für private Haushalte bedeutet

Analyse | Berlin · Die Warnungen vor einem akuten Gasmangel in der kalten Jahreszeit nehmen zu. Auch private Haushalte müssen sich auf empfindliche Kürzungen einstellen. Die Einsparungen der Industrie werden nicht reichen.

 Ein Gaszähler in einem privaten Haushalt.

Ein Gaszähler in einem privaten Haushalt.

Foto: dpa/Patrick Pleul

Über die Gasversorgung im kommenden Winter macht sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wenig Illusionen. Es drohe mittelfristig ein Szenario, warnte der Grünen-Minister vor einem Treffen mit seinen EU-Kollegen, wonach „tatsächlich Reduktionen verordnet werden müssen“. Mit anderen Worten: Industrie und sonstige Wirtschaft, aber auch private Haushalte müssen sich auf staatliche Verbrauchskürzungen einstellen. Das Wort von der Rationierung macht die Runde.

Das ist eine neue Tonlage. Denn eigentlich konnten sich Privatpersonen, Altenheime, Krankenhäuser, Polizei, Feuerwehr, Schulen, Kitas und Gefängnisse darauf einstellen, dass sie von der Rationierung gänzlich ausgenommen werden. So steht es auch im Gesetz. Doch das könnte sich ändern, wenn das Gas für die Industrie, die fast ein Drittel der Importe verbraucht, zu ernsthaften Versorgungsengpässen führt. Genau das ist aber nicht auszuschließen.

Technisch ist es alles andere als einfach, die Haushalte zu rationieren. Für die 2500 Großverbraucher in der Industrie kann die Bundesnetzagentur Verfügungen aussprechen. Ihnen wird einfach weniger weniger Gas zugeteilt. Wer mehr verbraucht, muss mit Abschaltungen rechnen. Bei den privaten Verbrauchern, die fast für die gleiche Menge stehen, geht das nicht. Eine Senkung der Raumtemperatur oder die Verringerung des Warmwasserverbrauchs etwa durch kürzeres Duschen kann zwar verfügt, aber kaum kontrolliert werden. Entsprechend vorsichtig sind auch Politiker, die Bürgerinnen und Bürger per Gesetz zum Sparen anzuhalten.

Was passiert bei einem dauerhaften Gas-Stopp durch Russland?

Die Bundesnetzagentur hat in einem Szenario ausgerechnet, was passieren könnte, wenn Russland die Gaszufuhr über die Pipeline Nordstream 1 dauerhaft stoppt. Einen Vorgeschmack darauf bietet die routine-mäßige Abschaltung der Pipeline zum 11. Juli, die auch 2022 wie jedes Jahr in die Wartung geht. Selbst wenn es gelänge, den Verbrauch um ein Fünftel zu senken und alle anderen Bezugsquellen wie Flüssiggas und Lieferungen aus befreundeten Ländern so blieben wie jetzt, würde das Gasdefizit für Deutschland bei rund zehn Prozent liegen. Das ist eine gewaltige Menge, mehr als 100 der jährlich über 1000 gelieferten Terawattstunden. Eine Einsparung könnte nur gemeinsam von Privaten und Industrie geleistet werden. Schon Mitte Dezember würde es zu einem empfindlichen Mangel kommen.

Was heißt das aber für die vom Gesetz geschützten Gruppen und andere nicht-industrielle Abnehmer? Zunächst würde die Bundesnetzagentur wohl die Schließung aller mit Gas versorgten Freizeiteinrichtungen verfügen. Schwimmbäder, gasbeheizte Fitness-Studios oder Sporthallen wären davon betroffen

Gesetzliche Absenkung der Raumtemperatur?

Sodann würden die Preise für Heizung und Warmwasser gewaltig ansteigen. Seit Habeck die Alarmstufe des Notfallplanes Gas ausgerufen hat, können Stadtwerke und andere Versorger höhere Preise für den wertvollen Energierohstoff künftig viel stärker an Kunden weitergeben. Das dürfte für einen hohen Sparanreiz sorgen. Und flächendeckenden Ausgleichszahlungen für alle hat der Chef des Wirtschaftsressorts schon eine Absage erteilt. „Kriegst du nicht, Alter“ sagte Habeck dazu flapsig. Über spezielle Zuschüsse für ärmere Schichten wird trotzdem nachgedacht.

Möglich wäre darüber hinaus eine gesetzliche Absenkung der Raumtemperatur – etwa unter 20 Grad. Oder eine Höchstduschzeit pro Tag. Es wäre ähnlich wie in der Corona-Krise, als für Haushalte eine maximale Besucherzahl festgelegt wurde. Sie wurde zwar nicht kontrolliert, aber in der Regel doch eingehalten.

Ansonsten können sich die Verbraucher auch selbst helfen. So rät Wirtschaftsminister Habeck, jetzt im Sommer einen hydraulischen Abgleich der Heizung zu veranlassen. Dies sorgt für eine gleichmäßigere Verteilung der Wärme in den Heizkörpern und spart laut Habeck 15 Prozent Energie und Kosten. Im Winter ließe sich die Heizung um ein Grad herunterdrehen, das bringt sechs Prozent. Wenn ganze Räume wie das Schlafzimmer noch kälter werden, liegt die Einsparung weitaus höher.

Eine deutliche Verminderung des Verbrauchs würde auch eine Homeoffice-Pflicht für die kalte Jahreszeit bedeuten. Wie zu Corona-Zeiten (die durchaus wiederkehren könnten) würde der Gesetzgeber alle Beschäftigten ins heimische Büro schicken, sofern dies produktionstechnisch möglich wäre. „Das könnte ein kluger Ansatz sein“, sagte der scheidende NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) unserer Redaktion. Auch jetzt würden viele Bürger ihren Firmenbüros häufiger als vor der Corona-Krise fernbleiben; wegen drohender Gasknappheit könne man über neue Vorgaben nachdenken. Pinkwart: „Wir müssen viele Ideen nutzen, um mit eventuell weniger Gas klarzukommen.“ Das gilt selbstredend nur für zentrale Lösungen, wenn fast alle Beschäftigten zu Hause bleiben.

Pinkwart hält es auch für denkbar, dass viele Bürger zeitweise auf kleine Stromheizungen umstellen: „Das wäre nicht völlig abwegig.“ Entscheidend sei dann aber, dass ein höherer Einsatz von Stromheizungen nicht zum erneuten Hochfahren von Gaskraftwerken führe. „Dann müsste man eben die Kohle wieder zeitweise stärker nutzen.“

Allerdings sind dem vermehrten Einsatz von Stromgeräten Grenzen gesetzt. Mag es beim Kochen noch angehen, so dürfte es beim Heizen der gesamten Wohnung schnell ziemlich teuer werden. Hier ist dann doch eine eiserne Sparsamkeit die beste Methode, den Gasverbrauch zu senken.

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