Faktencheck zum Antisemitismus Ist Gewalt gegen Juden vor allem muslimisch?

Berlin · Für Jüdinnen und Juden besteht in Deutschland die Gefahr, Opfer von gewaltbereitem Antisemitismus zu werden, wie Vorfälle aus den vergangenen Monaten zeigen. In diesem Zusammenhang wird in Medien auch die These vertreten, die größte Bedrohung für jüdisches Leben gehe aktuell vor allem von islamistischer Seite aus und die Täter seien fast immer Menschen mit Migrationshintergrund.

 Juden in Deutschland fühlen sich zum Teil bedroht.

Juden in Deutschland fühlen sich zum Teil bedroht.

Foto: dpa/Paul Zinken

Stimmt das?

Bewertung: Für solche Behauptungen gibt es keine Belege. Zumindest die vorliegenden Daten legen den Schluss nahe: Der Antisemitismus in Deutschland kommt zum größten Teil aus dem rechtsextremistischen Milieu.

Fakten: In seinem jüngsten Jahresbericht „Politisch motivierte Kriminalität“ für 2020 ordnet das Bundes­kriminalamt (BKA) nur einen sehr geringen Teil der insgesamt 2351 antisemitischen Straftaten „Religiöser Ideologie“ (1,3 Prozent) und „Ausländischer Ideologie“ (1,7 Prozent) zu. Zum zweiten Punkt gehören Straftaten, bei denen „Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine aus dem Ausland stammende nichtreligiöse Ideologie entscheidend für die Tatbegehung war“, wie die Behörde schreibt.

Den weit überwiegenden Teil (94,6 Prozent) der Straftaten rechnet das BKA rechtsradikalen Tätern zu. Das bedeutet: Die Umstände der Tat oder die Einstellungen der Verdächtigen bei allen antisemitischen Straftaten weisen der Behörde zufolge größtenteils Anhaltspunkte für eine politisch „rechte“ Orientierung auf – etwa „Straftaten, bei denen Bezüge zum völkischen Nationalismus, zu Rassismus, Sozialdarwinismus oder Nationalsozialismus ganz oder teilweise ursächlich für die Tatbegehung waren“, heißt es vom BKA. „Antisemitischer Hass und antisemitische Hetze sind feste Bestandteile der rechtsextremistischen Ideologie“, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bei der Vorstellung des Jahresberichts „Politisch motivierte Kriminalität 2020“ im Mai.

Zu beachten ist aber: Dem Thema „Rechts“ werden vom BKA auch Straftaten zugeschlagen, bei denen keine ausreichenden Informationen zum Motiv vorliegen, oder wenn nichts über Tatverdächtige bekannt ist. Es ist dabei aber auch nicht nachzuweisen, ob bei diesen völlig unbekannten Fällen ein Großteil Verdächtiger muslimisch ist, wie in sozialen Medien behauptet wird.

Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) erfasst und dokumentiert deutschlandweit bekannt gewordene antisemitische Vorfälle. Das Spektrum reicht dabei von extremer Gewalt (wie etwa dem Angriff mit einem Spaten auf einen jüdischen Studenten in der Nähe der Synagoge in Hamburg) über tätliche Angriffe und Sachbeschädigungen bis hin zu antisemitischen Beschimpfungen. Im Jahresbericht 2020 ordnet er von insgesamt 1909 dokumentierten Vorfällen 47,5 Prozent (906 Fälle) einem politisch-welt­anschaulichen Hintergrund zu. Davon entfallen mehr als die Hälfte (479 Fälle) auf die Kategorie Rechts­extremismus/Rechtspopulismus und etwa ein Viertel (247 Fälle) auf einen verschwörungsideologischen Hintergrund wie etwa bei Demonstrationen von Leugnern der Corona-Pandemie. Die Motive „islamisch-islamistisch“, „antiisraelischer Aktivismus“ und „links/antiimperialistisch“ machen zusammen weniger als zehn Prozent der von Rias registrierten Vorfälle aus, bei denen ein politisch-weltanschaulicher Hintergrund bekannt ist.­

Von 40 körperlichen Angriffen auf Jüdinnen und Juden 2020 könne Rias lediglich sechs einem konkreten weltanschaulichen Hintergrund zuordnen, erklärt Alexander Rasumny vom Rias. Bei der Hälfte (drei Fälle) handele es sich um rechtsextrem motivierte Gewalt, die anderen seien jeweils „links/antiimperialistisch“, „islamisch/islamistisch“ oder „christlich/christlich-fundamentalistisch“ motiviert.

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