Bundestagsdebatte über das Infektionsschutzgesetz Die Pandemie, das Gesetz und die AfD

Berlin · Die Reform der Infektionsschutz-Verordnung wird in Bundestag und Bundesrat unter den Protesten der Rechtspopulisten verabschiedet. Sogar Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble muss eingreifen.

 Ein Teilnehmer einer Demonstration gegen die Corona-Einschränkungen der Bundesregierung trägt vor dem Brandenburger Tor eine Mund-Nasen-Bedeckung mit der Aufschrift "Diktatur".

Ein Teilnehmer einer Demonstration gegen die Corona-Einschränkungen der Bundesregierung trägt vor dem Brandenburger Tor eine Mund-Nasen-Bedeckung mit der Aufschrift "Diktatur".

Foto: dpa/Michael Kappeler

Als könnten sie es kaum erwarten, kommen die AfD-Abgeordneten schon eine halbe Stunde vorher in den noch leeren Plenarsaal. Es werden Plakate verteilt, die erst einmal unter den Bänken verschwinden. Draußen rufen Demonstranten „Freiheit, Frieden, keine Diktatur“. Und drinnen wollen die Rechtspopulisten sich als „einzige demokratische Opposition“ darstellen. So ihr Fraktionschef Alexander Gauland in seiner Rede. Es ist der Versuch, die Debatte über die Reform des Infektionsschutzgesetzes zur Schicksalsstunde der Nation zu machen.

AfD-Fraktionsgeschäftsführer Bernd Baumann leitet die Aussprache mit dem Vorwurf ein, die Regierung wolle sich „ermächtigen, wie seit geschichtlichen Zeiten nicht mehr“. Die direkte Gleichsetzung mit Hitlers Ermächtigungsgesetz vermeidet Baumann, ebenso wie Gauland. Er spricht stattdessen von „Symptomen einer nahenden Gesundheitsdiktatur“ und schreit Angel Merkel auf der Regierungsbank fast an: „Haben wir denn die Pest im Land?“

Auf den Plakaten, die dann bei Beginn der Rede von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ausgerollt werden, ist das Grundgesetz abgebildet, samt Trauerflor und dem Beerdigungsdatum 18. November 2020. Nachdem Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) die Aktion mit der Androhung von Ordnungsrufen beendet hat, kontert Spahn den Vorwurf des Verfassungsbruches ziemlich ruhig: „Die körperliche Unversehrtheit steht auch im Grundgesetz, das Sie gerade hochgehalten haben“, sagt der Minister in Richtung AfD. „Ist Ihnen das Leid auf den Intensivstationen egal?“ Und Spahn fragt die AfD auch: „In welchem Land wären sie eigentlich lieber?“ Fast überall bei den Nachbarn seien die Maßnahmen härter als in Deutschland.

Mit Ausnahme von Gauland und FDP-Chef Christian Lindner reden nur Fachpolitiker, was etwas Dramatik rausnimmt. Noch nie habe sie erlebt, sagt die CDU-Gesundheitspolitikerin Karin Maag, „dass ein Gesetz so missverstanden wurde“. Es erweitere den Spielraum der Regierung bei der Pandemiebekämpfung nicht, im Gegenteil, es enge ihn ein. „Sobald wir Abgeordneten die epidemiologische Lage beenden, sind alle Maßnahmen hinfällig.“ Außerdem regele man den Anspruch auf eine Schutzimpfung gegen Corona – „aber keine Impfpflicht“. Maag appelliert an die Bürger an den Fernsehschirmen: „Bilden Sie sich Ihre Meinung anhand der Debatten unter den demokratischen Parteien.“ Die CDU-Politikerin hat wie viele andere Koalitionsabgeordnete eine Flut von Protestmails, Beschimpfungen und Drohungen bekommen.

Einen sachlichen Gegenvorschlag hat die FDP, den Christian Lindner referiert. Sie ist nicht prinzipiell gegen das Gesetz, will aber viel genauer festlegen, bei welcher Pandemiestufe welche Einschränkung erfolgen darf. Die Grünen finden das im Prinzip richtig. „Ihr Entwurf ist deutlich besser“, bescheinigt die Grünen-Gesundheitsexpertin Manuela Rottmann den Liberalen sogar. Doch Lindners Appell, gerade bei diesem Thema einen parteiübergreifenden Konsens zu suchen, verhallt in den Koalitionsreihen ungehört. Wohl auch, weil der Gegenvorschlag der FDP erst Montag auf den Tisch kam, als alle Beratungen praktisch abgeschlossen waren.

Die Koalition setzt auf Tempo, weil sie fürchtet, ohne bessere Rechtsgrundlage mit ihrer Anti-Corona-Politik immer häufiger vor den Verwaltungsgerichten zu scheitern. Diese Sorge teilen auch die Grünen. Es wird namentlich abgestimmt, das Gesetz mit 415 zu 236 Stimmen angenommen. Kurz danach stimmt ihm auch die Länderkammer zu. Wie Diktatur hat der Tag nicht gewirkt.

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