DGB informiert Fernfahrer Viele Fernfahrer kennen ihre Rechte nicht

Neuenstein · Der DGB berät ausländische Fernfahrer über ihre Rechte. Und macht weitgehend ernüchternde Erfahrungen.

 Zahlreiche osteuropäische Lkw-Fahrer kennen sich mit ihren Rechten in puncto Mindestlohn nicht aus. Die Regeln sind kompliziert.

Zahlreiche osteuropäische Lkw-Fahrer kennen sich mit ihren Rechten in puncto Mindestlohn nicht aus. Die Regeln sind kompliziert.

Foto: dpa/Holger Hollemann

Die Kennzeichen der Lastwagen verraten Michael Wahl, wo er mit seinem Anliegen richtig ist. Zügig schreitet er eine Reihe geparkter Fahrzeuge ab. CZ, RO, H: kaum ein deutsches Nummernschild ist darunter. Er stoppt vor einem Brummi mit PL für Polen und winkt dem Mann in der Kabine mit einem orangefarbenen Zettel zu. Die Fensterscheibe wird heruntergelassen. „Dzień dobry!“, sagt Wahl. „Guten Tag.“ Und weiter auf Polnisch: „Wir verteilen Flyer, um Sie über Ihre Rechte in Deutschland zu informieren.“ Dann fragt er, ob der Mann über den gesetzlichen Mindestlohn Bescheid wisse.

Viele Fahrer, die er auf den Mindestlohn anspricht, schütteln den Kopf. Für das Projekt „Faire Mobilität“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) koordiniert Wahl Beratungen für ausländische Fernfahrer, die in Deutschland unterwegs sind. An diesem Nachmittag ist er an der Raststätte Hohenlohe Süd bei Neuenstein in Baden-Württemberg ausgeschwärmt. „Viele Fahrer wissen nicht, was ihnen gesetzlich zusteht“, sagt Wahl. In der Landessprache angesprochen, öffnen viele Trucker bereitwillig ihre Türen.

Der Fahrer des polnischen Lasters heißt Michal und hat Teile für Motorsägen geladen. Er reicht Wahl einen Zettel heraus, auf dem seine Arbeitszeit penibel erfasst ist. 83 Stunden hat er demnach im Januar auf deutschen Straßen zugebracht. Zeit, für die ihm per Gesetz der deutsche Mindestlohn von derzeit 9,19 Euro zusteht. Der wird ihm laut Papier auch gezahlt. Allerdings wird dabei auf einen Trick zurückgegriffen, wie Wahl erklärt. Der Fahrer erhält eine Tagespauschale, also Spesen. Sie liegen meist bei 40 bis 60 Euro. Darauf muss der Arbeitgeber weder Sozialabgaben noch Steuern zahlen. Diese Summe wird auf den Mindestlohn angerechnet Dies geschehe zu Unrecht, sagt Wahl. Ihm zufolge müsste es die Pauschale obendrauf geben. Hat der Fahrer Urlaub oder ist krank, fallen die Spesen weg und er erhält nur einen Grundlohn: oft gerade mal 400 bis 600 Euro.

Seit Mitte 2017 hat der Gewerkschaftsbund 50 bis 60 Aktionen auf Rasthöfen gestartet und 3000 Fahrer angesprochen. „Verbessert hat sich in der Zeit nichts“, sagt Wahl. „Die Arbeitsbedingungen sind oft katastrophal.“ Viele osteuropäische Fahrer kehren oft monatelang nicht heim. Den Mindestlohn könnten die Fahrer gegenüber ihren Arbeitgebern einfordern. Doch viele fürchten, dann ihren Job zu verlieren. Oder sie kennen sich mit dem Recht nicht aus. Die Regelungen sind kaum zu durchschauen. Theoretisch müsste der Zoll die Einhaltung des Mindestlohns überprüfen. Doch nach den Erfahrungen der DGB-Mitarbeiter finden solche Kontrollen kaum statt. Ein Sprecher des Zolls betont das Gegenteil. Es werde regelmäßig kontrolliert. Anfang April sind die Arbeitsbedingungen in der Transportbranche im EU-Parlament hitzig diskutiert worden. Abgeordnete wollen durchsetzen, dass die Fernfahrer alle vier Wochen nach Hause zurückkehren dürfen und ihre Wochenruhezeit im Hotel statt in der Kabine verbringen.

Auch soll der nationale Mindestlohn immer gelten, wenn eine ausländische Firma Güter innerhalb eines Landes transportiert. Fahrten zwischen mehreren Ländern wären ausgenommen. Diese Lohn-Regelung sieht Wahl kritisch, weil das Brüsseler EU-Parlament damit Beschäftigte in zwei Klassen einteile. „Mal haben sie einen Mindestlohnanspruch am Ort, an dem sie arbeiten, mal haben sie keinen“, sagt er. „In Zukunft müssen wir einem großen Teil der Fahrer erzählen, dass sie für Touren quer durch Westeuropa nur einen Anspruch auf mickrigen Lohn aus Osteuropa haben, obwohl sie den überwiegenden Teil ihrer Arbeit in Westeuropa verrichten.“

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