Münchens dunkle Seite

Auch in seinem neuen Kriminalroman „M“ erweist sich Friedrich Ani als meisterhafter Erzähler, begnadeter Dramaturg und faszinierender Komponist leiser Töne. Diesmal schickt er seinen Ermittler Tabor Süden in den rechten Terroruntergrund.

Fernab weißblauer Biergarten- und Schickeria-Idylle, mitten im Sumpf neonazistischer Bedrohung und Gewalt, zeichnet Friedrich Ani ein Bild der Stadt München, wie es kaum jemand kennt. Privatdetektiv Tabor Süden taucht in seinem aktuellen Fall in die rechte Szene der bayrischen Metropole ein, um Siegfrid Denning, den Freund der Redakteurin Mia Bischof, zu finden. Sie beauftragt die Detektei Liebergesell, ihren Freund, einen Taxifahrer, zu finden, der seit Tagen wie vom Erdboden verschluckt scheint. Der einzige Hinweis, den sie der Detektei geben kann, ist ziemlich lapidar: Er sei irgendwie anders gewesen in letzter Zeit. Die beiden kennen sich noch nicht allzu lange, Mia wirkt zwar sehr verliebt, das Verschwinden ihres Freundes, von dem sie noch nicht einmal ein Foto besitzt, scheint sie aber nicht allzu sehr aus dem emotionalen Gleichgewicht zu bringen.

Ein harter Brocken, den es für Tabor Süden zu knacken gilt. Die wenigen Fakten, mit denen er arbeiten kann, sind alles andere als kohärent und lassen kein klares Motiv erkennen. Das Flüchtige, wenig Konkrete der Faktenlage, mit der Tabor sich konfrontiert sieht, deutet sich schon im Titel an. Das "M" kann für München stehen, genauso aber für Mia, vielleicht auch für Martin, den Freund Tabors, über dessen Tod er immer noch nicht hinweggekommen ist, an den er sich, insbesondere in den ruhigeren Passagen, voller Melancholie und Trauer erinnert und der stetig präsent zu sein scheint, wenn auch nur in kleinen, subtilen Andeutungen.

Die Nachforschungen treten auf der Stelle, bis Tabor Süden durch einen Zufall erfährt, dass Siegfrid Denning nicht nur von seiner Detektei gesucht wird. Auch das LKA ist in großer Sorge um Denning, denn wie sich herausstellt, arbeitet er als verdeckter Ermittler in der rechten Szene. Sollte seine Tarnung aufgeflogen sein, was weder Süden noch die wenig kooperativen LKA-Ermittler wissen, könnte das Dennings Todesurteil sein.

Friedrich Ani ist ein meisterhafter Erzähler, ein begnadeter Dramaturg und ein faszinierender Komponist leiser Töne, der seine Leser zwingt, zwischen den Zeilen zu lesen, die Atmosphäre wirken zu lassen, ehe allzu hastig umgeblättert wird. Ihm zu folgen, ist ein Genuss. Die Präzision, mit der Ani Spannung auf allerhöchstem Niveau erzeugt, ohne auch nur ein einziges Mal Klischees zu bedienen, ist nicht anders als brillant zu bezeichnen. Wenige, präzis ausgewählte Worte, keines davon austauschbar - Ani konstruiert mit traumwandlerischer Sicherheit, sowohl seine Sätze, wie auch den Spannungsbogen seiner Geschichte. Gleichermaßen gelingt es ihm, mit einfachen, aber umso präziseren Mitteln, eine Atmosphäre von Melancholie und individueller Verlassenheit zu erzeugen, die jedoch niemals Gefahr läuft, in die Gefühlsduselei abzugleiten. Liebergesell, Süden, ja auch die Klientin Mia, sind allesamt einsame Kreaturen, deren Biografien einiges an tragischem Potential aufweisen - provoziert durch Schicksalsschläge oder das gesellschaftliche Umfeld, wie im Fall von Mia.

Die politische Brisanz des Plots ist ohne die zeitliche Parallele zu den aktuellen NSU-Prozessen nur schwer vorstellbar und wenn man die aktuelle Berichterstattung der Prozesse verfolgt, bekommt auch Anis jüngster Krimi eine ungeheure Aktualität.

Für die bestechende Umsetzung dieses gesellschaftspolitisch brisanten Themas ist Friedrich Ani 2014 mit dem Deutschen Krimi-Preis, dem ältesten und gleichzeitig renommiertesten Literatur-Preis für das Genre ausgezeichnet worden. Außerdem hat er den Stuttgarter Krimi-Preis für den besten deutschsprachigen Kriminalroman 2013 erhalten. Gut, dass es solche Preise gibt, denn sie geben dem Publikum die Chance, bei der Suche nach der Stecknadel im Krimi-Angebot tatsächlich lesenswerte Literatur zu finden, und nicht aus Verlegenheit zum werbewirksam ins Rampenlicht gerückten Lokal- und Regionalkrimi zu greifen.

Friedrich Ani: M. Droemer Knaur, 365 Seiten, 19,99 Euro.

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