Mittelmaß ist nicht sein Ding

Saarbrücken · Vor zwei Jahren brachte Stijn Celis (50) als Gastchoreograf eine frische „Cinderella“ auf die SST-Bühne. Der Nachfolger Marguerite Donlons hat das Tanzensemble nahezu unverändert übernommen. Am 18. Oktober wird Celis die erste Premiere als neuer Saarbrücker Company-Chef haben.

 Der Belgier Stijn Celis im Ballettsaal des Saarbrücker Staatstheaters. Foto: Oliver Dietze

Der Belgier Stijn Celis im Ballettsaal des Saarbrücker Staatstheaters. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Johann Sebastian Bach nimmt er mit in die Badewanne. Ansonsten lehnt Stijn Celis (50) ganz ausdrücklich musikalische Festlegungen ab. Er sei der Mann mit den Steckern im Ohr, im Zug ebenso wie beim Joggen, erzählt Celis bei einer Begegnung in Saarbrücken. Er tritt kein leichtes Erbe an, denn seine Vorgängerin Marguerite Donlon wirft einen großen Schatten. Jedenfalls hört Celis, wenn er ein neues Stück vorbereitet, ununterbrochen Musik, um das Passende zu finden. Etwas, das sich verknoten lässt mit den biografischen Wurzeln, die alle seine Choreografien besitzen.

Von Nick Cave bis Tschaikowsky, von Penderecki bis Bob Dylan und Boulez reicht das Spektrum der von Celis bis dato vertanzten Komponisten. In der Vergangenheit hatten es dem neuen Staatstheater-Ballettchef vor allem druckvolle, rhythmusgetriebene Kompositionen angetan, etwa von Strawinsky. Zwischenzeitlich, berichtet Celis, der seit 2008 in der Jazz-Stadt Montreux lebt, habe er Gefallen gefunden an experimentellem Jazz. Doch er ringt mit der Frage: Wie diesen Stil vertanzen, ohne ins Banale zu rutschen, indem man einfach nur das Muster des Improvisierens wiederholt?

Celis mutmaßt: "Was meinen Umgang mit Musik angeht, könnte Saarbrücken eine Zäsur werden." Er hat noch nie mit einem zeitgenössischen Komponisten gearbeitet und möchte das nachholen. Jetzt, da das Leben als freier Choreograf ihn nicht mehr zum Globetrotten zwinge, habe er endlich die Ruhe, sich "zu fokussieren". Auch auf die Integration von Video-Kunst, die bisher in seinen Kreationen keine Rolle spielte. Es sieht ganz so aus, als wolle Celis die Zeit als Ballettchef in Saarbrücken nutzen, um künstlerisches Neuland zu erforschen. Er möchte persönlich wachsen. Was die Sache auch für das Publikum spannender macht als erwartet. Schließlich meinte man, den Neuen schon ein wenig zu kennen. 2012 zeigte er auf Einladung Donlons "Cinderella" im Staatstheater: lebensnah, frisch und eingängig gelang ihm das, in einer fließend-eleganten Körpersprache, die nicht so weit weg schien von Donlon.

Für das Staatstheater wird Celis Handlungsballette wie auch abstrakte Ballette liefern. Gleich drei Uraufführungen hat er sich in seine erste Spielzeit gepackt, eine stramme Anforderung. Über Titel, Themen oder Figuren lässt sich Celis freilich noch nichts entlocken. Nur so viel: Am 18. Oktober kommt sein erster Abend als Ballettchef heraus - mit einer kaum veränderten Company, was überrascht. Celis hat nur vier der 16 Tänzer-Verträge nicht verlängert. Auch die von Donlon eingeführte "SubsTanz"-Reihe, in der sich die Tänzer als Choreografen erproben, führt er weiter. Celis fehlt, wie es scheint, das Hoppla-Jetzt-Komm-Ich-Gen. "Perfecting yourself" - Perfektioniere dich - lautet dem hingegen sein Motto.

Was hat ihn zu seiner Bewerbung in Saarbrücken veranlasst? Die geografische Lage. An Saarbrücken reizt Celis die Grenzsituation, dass er schnell in die alte Heimat Belgien fahren kann und fast noch schneller in Paris ankommt: "Ich habe den Eindruck, dass hier viel Bewegung herrscht. Saarbrücken ist eine Werktagsstadt, das gefällt mir." Wobei Celis seinen Zweitwohnsitz bei seinem Partner in der "Sonntagsstadt" Montreux aufrecht erhalten wird. Kontrast, Abwechslung, Perspektivenwechsel, das scheinen die Konstanten im Leben eines Mannes, der als Kind sechs Jahre in Afrika lebte und jetzt als freiberuflicher Künstler Aufentshaltorte wechselt wie andere ihr Hemd. Kopf und Herz werden dabei offensichtlich frei gepustet. Alles, was Celis erzählt, hört sich frei und undogmatisch an. Ein besonderes Faible hat er für bildende Kunst. Er streift in Basel oder Baden-Baden durch die Kunsthallen und Museen, lässt sich von Neo Rauch ebenso fesseln wie von Donald Judd. Folgerichtig kennt Celis auch keine Favoriten unter Choreografen: William Forsythe fasziniert ihn, die verstorbene Pina Bausch verehrt er, dem verkopften Minimalismus eines Raimund Hoghe kann er auch was abgewinnen. Lässt sich diese ästhetische Streubreite auf einen Nenner bringen? "Das Einzige, was ich nicht mag, sind Mainstream und Mittelmaß". Bingo. Klingt gut.

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Zur PersonStijn Celis (50), Sohn eines Belgiers und einer Mauritianerin, kam durch eine ballettbesessene Freundin erst im Teenageralter zum Tanz, machte seine Tanzausbildung mit 15 Jahren an der königlichen Ballettschule in Antwerpen. Bevor Celis 1997 zur Choreografie wechselte, war er Tänzer unter anderem in Zürich, Genf und im Cullberg-Ballett. 2004 wurde er künstlerischer Direktor des Berner Balletts. Seit 2007 arbeitet er frei, unter anderem für Les Grands Ballets Canadiens de Montréal und das Ballett Mainz. Zu den wichtigsten Stücken zählen: "Le Sacre du Printemps", "Schwanensee", "Noces", "Romeo und Julia". 2012 zeigte Celis "Aschenputtel/Cinderella" am SST. Derzeit erarbeitet er für die Semperoper eine Choreografie zu Richard Strauss' "Josephs Legende" (Premiere am 28. Juni). ce

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