Mit Vergebung gegen den Schmerz

München · Eine Frau wird schwanger. Weil sie unverheiratet ist, wird sie im Kloster versteckt und ihr Sohn zwangsweise zur Adoption freigegeben. Der aufwühlende Film „Philomena“, der morgen in den Kinos startet, schildert so ein Schicksal mit der wunderbaren Judi Dench in der Hauptrolle.

 Auf der Suche nach ihrem Sohn: Philomena (Judi Dench) mit Sixsmith (Steve Coogan). Foto: Universum

Auf der Suche nach ihrem Sohn: Philomena (Judi Dench) mit Sixsmith (Steve Coogan). Foto: Universum

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Unverheiratet und schwanger - das war im streng katholischen Irland vor einigen Jahrzehnten noch eine moralische Katastrophe. Man löste das Problem, indem die Frauen bis zur Niederkunft in ein Kloster gesteckt wurden. Nach der Geburt "arbeiteten" sie dort ihre Schuld ab und wurden oft gezwungen, ihre Kinder zur Adoption freizugeben. Der Film "Philomena" setzt so einer Mutter ein Denkmal. Das Drama mit einer wunderbaren Judi Dench in der Hauptrolle erzählt die wahre Geschichte einer Irin, die ihren Sohn auf diese Weise verliert und die ihn 50 Jahre nach der Geburt wiederfinden will. Stephen Frears hat aus dem auf einer wahren Begebenheit beruhenden Buch des Journalisten Martin Sixsmith einen herzzerreißenden Film geschaffen, der trotz aller Tragik viele komische und versöhnliche Seiten hat und zurecht gleich vier Mal für einen Oscar nominiert ist.

Zu verdanken ist der Film vor allem dem Schauspieler Steve Coogan. Ein Zeitungsartikel hatte ihn auf das Buch von Sixsmith aufmerksam gemacht. Nach der Lektüre ließ ihn Philomenas Schicksal nicht mehr los. Bald stand für ihn fest: Der Stoff muss verfilmt werden. Coogan schrieb mit Jeff Pope das Drehbuch und wurde einer der Produzenten. Und natürlich spielte er auch mit - auch wenn sein Metier sonst eher komische Rollen sind. Als Sixsmith macht er sich mit Philomena auf, um deren verschollenen Sohn zu finden. Ihr Weg führt sie in das Kloster Roscrea. Doch dort weiß niemand mehr, was mit Anthony passierte, nachdem er mit drei Jahren adoptiert worden war. Durch einen Barkeeper finden sie dann doch noch eine Spur. Sie führt nach Amerika, genauer gesagt nach Washington D.C., ins Zentrum der US-amerikanischen Politik.

Dench und Coogan bilden ein wunderbares Paar - sie ist eine einfache Krankenschwester, die sich an Liebesromanen ergötzt und auf dem Flug in die USA dem modernen Leben mit ungläubigem Staunen begegnet. Coogan dagegen gibt den zynischen Zweifler, der die alte Dame anfangs ziemlich skeptisch begleitet und bisweilen von ihrer naiven Art völlig genervt ist. Doch bald erkennt er, dass sich hinter ihrer schlichten Fassade eine zutiefst verletzte, herzensgute Frau verbirgt, die an ihrem Schicksal zu zerbrechen droht. Zu überwältigend ist der Schmerz darüber, dass sie im Grunde das falsche Leben gelebt hat. Ein Leben ohne Anthony, der als Kleinkind mit seiner kindlichen Liebe tief in ihr Herz eingedrungen ist. Selbst ihre später geborene Tochter Jane konnte ihn nicht verdrängen. "Ich möchte wissen, ob Anthony jemals an mich gedacht hat, wie ich an ihn gedacht habe jeden Tag", fasst sie ihre Sehnsucht zusammen. Ihre Haupt-Angst: "Ich habe Visionen, dass er heimatlos ist und niemand ihn liebt."

Der Film geht mit seinem Wechselbad zwischen Lachen und Weinen unter die Haut - vor allem, weil Dench mit ihrer faszinierenden Gabe für große Rollen ohne jeden Pathos spielt. Dench wird dieser Aufgabe gerecht: Philomenas Schmerz ist roh, brutal und von ungeheurer Wucht, wie eine frisch aufgerissene Wunde. Und trotzdem will diese einfache Frau nicht hassen, schon gar nicht die Klosterschwestern, die ihr das Leid zugefügt haben. Und die stur darauf beharren, dass sie nichts über Anthonys Schicksal wissen.

Für Martin ist Philomenas Verständnis ein komplettes Rätsel. Bald reagiert er mit rasender Wut, vor allem, weil die alte Dame partout an ihrem tiefen, katholischen Glauben festhält. Am Ende muss auch Martin erkennen, dass Vergebung und Milde oft die bessere Antwort sind als Hass und Verachtung. "Ich bin wütend", brüllt er seiner eigensinnigen Begleiterin entgegen. Doch Philomena setzt dem trocken und ruhig entgegen: "Das muss sehr anstrengend sein."

"Philomena" startet morgen in der "Camera Zwo" (Sb). Weitere Kritiken und Termine morgen in der Beilage treff.region.

Zum Thema:

Auf einen BlickDie anderen neuen Filme: Das Filmhaus (Sb) zeigt die Komödie "Viva la libertà". Die Geschichte eines Politikers, der vom Zwillingsbruder vertreten wird, der dem Wahlvolk viel besser gefällt, ist nicht neu - aber der Film ist bissig und flott. Ebenfalls im Filmhaus läuft "Like someone in love", ein minimalistisches Drama um Prostitution. In vielen Kinos startet der Trickfilm "Die Abenteuer von Mr. Peabody & Sherman" über einen Hund auf Zeitreise: gut gemachte Unterhaltung mit etwas Geschichtsunterricht. "Pompeii" kreuzt "Gladiator" mit Katastrophenfilm, während "Jack Ryan: Shadow Recruit" solide Spionage-Kost bietet. red

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