Mit Tempo und Temperament "Ich hätte gerne öfters Ruhe bewahrt"

Saarbrücken. Ernst blickende Herren mit Stehkragen und schwarzer Schleife bildeten 1912 das Orchester der Gesellschaft der Musikfreunde in Saarbrücken. Ihre Nachfolger ein Jahrhundert später stellen sich der Kamera locker, lächelnd, selbstbewusst. Darunter viele Frauen, was damals undenkbar war. Und sie spielen anders, weil Ausbildung und Auslese härter geworden sind

 Dirigent Toshiyuki Kamioka und das Orchester genießen den Schlussapplaus. Foto: Oliver Dietze

Dirigent Toshiyuki Kamioka und das Orchester genießen den Schlussapplaus. Foto: Oliver Dietze

Saarbrücken. Ernst blickende Herren mit Stehkragen und schwarzer Schleife bildeten 1912 das Orchester der Gesellschaft der Musikfreunde in Saarbrücken. Ihre Nachfolger ein Jahrhundert später stellen sich der Kamera locker, lächelnd, selbstbewusst. Darunter viele Frauen, was damals undenkbar war. Und sie spielen anders, weil Ausbildung und Auslese härter geworden sind. Es gibt noch weitere Unterschiede: Der Solist im Jahre 1912 war der Geiger Gustav Havemann, in dessen Biografie sich das 20. Jahrhundert wie im Zerrspiegel bricht: zuerst als Joachim-Schüler Klassiker, dann Wegbereiter der Zwölftöner, ab 1933 fanatischer Nazi, nach 1945 strammer Kommunist. Eine deutsche Karriere.Eine deutsche Karriere viel erfreulicherer Art weist der Solist auf, der 100 Jahre später dasselbe Violinkonzert von Brahms spielte: Christian Tetzlaff. Ein Spitzengeiger, den der Erfolg um den Globus hetzt - Beethoven in London, Dvorák in Paris, Brahms in Chicago . . . Lag es daran, dass seine Tempi so atemberaubend schnell waren? Das Finale, bei Menuhin noch achteinhalb Minuten lang, war bei Tetzlaff in sieben Minuten vorbei. Häufig dynamische Gegensätze vom fast verhauchten Pianissimo bis zu rüder Schroffheit, strahlende Kantilenen von italienischem Zauber, aber einer modernen deutschen Geige (von Stefan-Peter Greiner) entlockt, verbanden sich zu einer ebenso eigenwilligen wie souveränen Darstellung.

Dann stand der Jubilar, das Staatsorchester, im Mittelpunkt. Um zu bilanzieren, welchen Stand das Ensemble heute erreicht hat, sollte man die ausgezeichneten Orchesterleistungen der letzten Wochen bei Wagners "Parsifal" und Tschaikowskys "Eugen Onegin" mit einbeziehen und auch Ravels "Bolero" am nächsten Sonntag abwarten, der alle Bläser solistisch vorstellen wird.

Nun also Schuberts Große C-Dur-Sinfonie. Wie man sie vor hundert Jahren spielte, wissen wir aus Tondokumenten und anderen Quellen: mit breiten Tempi und germanischer Wucht. Bei Toshiyuki Kamioka erwartete man eine ganz andere Interpretation, zumal bei ihm ohnehin stets mit Überraschungen zu rechnen ist. Und die kamen: Temporückungen und dynamische Abstufungen, die in der Partitur nicht zu finden sind, besondere Gewichtung interessanter Nebenstimmen und genießerisches Hervorheben bestimmter Modulationen. Beim Andante con moto legte Kamioka die Betonung auf das "con moto" und gab dem Satz damit Heiterkeit; die lange Steigerung zur "Katastrophe" war dennoch atemberaubend. Von der sinnvollen Gliederung des einleitenden Hornthemas bis zum lang verklingenden Schlussakkord entwickelte sich so eine Darstellung dieser Sinfonie, die dem Jubiläum angemessen war. Jubel vom begeisterten Publikum, das anschließend, von der Intendantin eingeladen, im Foyer bei Sekt weiterfeierte. Saarbrücken. Er hätte manches anders gemacht, sagt Constantin Trinks im Rückblick auf die Zeit, als er mit nur 27 Jahren als 2. Kapellmeister ans Saarländische Staatstheater kam. "Ich hätte gerne öfters Ruhe bewahrt". Mit der Zeit habe er dann aber gelernt, die Dinge gelassener zu sehen. Seine Arbeit hat dem Orchester anscheinend aber gefallen: Nach zwei Jahren beförderte es den jungen Dirigenten mit einer Abstimmung zum 1. Kapellmeister - kein ganz üblicher Vorgang im deutschen Orchesterbetrieb. "Hinterher haben das einige vielleicht nicht mehr so gut gefunden", erzählt Trinks schmunzelnd. Er forderte das Orchester immer wieder heraus, auch in Richtung historischer Aufführungspraxis. Vielen galt er als "Orchestererzieher und Klangverfeinerer in Richtung Transparenz und Schlankheit", schreibt das Orchester in der Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum.

Als junger Dirigent habe er viel von dem Orchester lernen können, meint hingegen Trinks. Das Verhältnis sei eher kollegial gewesen, mit vielen Kollegen duzte er sich. Besonders gerne erinnert er sich an das Männergesangsquartett, in dem er mit Orchestermitgliedern Lieder der Comedian Harmonists sang und in St. Arnual auftrat.

Konstantin Trinks stieg noch weiter auf: Als Intendant Schildknecht und mit ihm Generalmusikdirektor (GMD) Leonid Grim das Haus 2006 verließen, setzte man Trinks als kommissarischen GMD ein. Es wurden drei ganze Jahre - in denen Trinks das Orchester entscheidend mitprägte. Als "künstlerische Höhenflüge" sind ihm Bruckners 7. Sinfonie und das Deutsche Requiem von Brahms in Erinnerung. Für sein persönliches Weiterkommen wichtig sei vor allem die überregional beachtete Aufführung der modernen Oper "Intolleranza" von Luigi Nono gewesen.

Gefragt danach, was er an dem Orchester schätze, nennt Trinks "das Gespür für Wagner" und die Flexibilität: "die Bereitschaft, sich auf verschiedene Stile einzulassen" wie zum Beispiel die "Florentiner Intermedien" mit Musik von vor 1600, was überhaupt nicht selbstverständlich sei. Von der "Lust zu entdecken und nicht zu beharren, wie wir's immer gemacht haben", schwärmt er. Dass es sich diese Offenheit behalte, wünscht Trinks dem Orchester zum 100. Geburtstag und "ein begeisterungsfähiges und verständiges Publikum".

Beim Festakt im Staatstheater am Sonntag ist er dabei. Er freue sich, "das Orchester seit längerer Zeit wieder zu hören und Bekannte zu treffen. aka

Foto: Stage Picture

Auf einen Blick

Für den Festakt am Sonntag (11 Uhr) im Staatstheater gibt es noch Restkarten unter Tel. (06 81) 30 92 486. Um 14 Uhr beginnt dort das Orchesterfest mit buntem Musik- und Kinderprogramm, unter anderem werden Instrumente gebastelt. Um 15.30 Uhr: Kinderkonzert "Die Zauberflöte". Ab 14. 30 Uhr: Geburtstagsgrüße der Sparten Schauspiel, Oper, Ballett.

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