Mit mehr Europa raus der Euro-Krise?Zweiter Versuch zur Ernennung eines griechischen Finanzministers

Brüssel. Kurz vor dem EU-Gipfel morgen und am Freitag zog der Kommissionspräsident noch einmal alle Register. "Die Krise ist die größte Bedrohung all unserer Errungenschaften im Aufbau Europas aus den vergangenen 60 Jahren", sagte José Manuel Barroso gestern in Brüssel. Und es gibt niemanden, der die Lage weniger drastisch beschreiben wollte

Brüssel. Kurz vor dem EU-Gipfel morgen und am Freitag zog der Kommissionspräsident noch einmal alle Register. "Die Krise ist die größte Bedrohung all unserer Errungenschaften im Aufbau Europas aus den vergangenen 60 Jahren", sagte José Manuel Barroso gestern in Brüssel. Und es gibt niemanden, der die Lage weniger drastisch beschreiben wollte. Fünf Länder befinden sich unter dem Euro-Rettungsschirm: Griechenland, Irland, Portugal und nun auch Spanien und Zypern. Die Zinsen für spanische und italienische Staatsanleihen kletterten gestern unaufhörlich weiter. 19 spanische Banken wurden zuvor von der US-Ratingagentur Moodys teilweise bis auf Ramschniveau heruntergestuft. Der Finanzbedarf für Rom und Madrid wird bis 2014 auf eine Billion Euro geschätzt.

Streit um Konjunkturspritze

Gleichzeitig leisten sich die Staats- und Regierungschefs noch immer eine Frontenbildung: Frankreichs Präsident François Hollande zusammen mit dem italienischen Premier Mario Monti, dem EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy und anderen gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Im Kern geht es um eine Frage: Soll die EU künftig ein unverbindliches Bündnis bleiben? Oder eine echte Verantwortungs- und Haftungsgemeinschaft? Am Ende gar mit einer Fiskal- und Bankenunion, gemeinsamen Anleihen (Euro-Bonds) und einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik? Die Börsianer sind hochnervös. Sie zweifeln, ob die Gipfel-Teilnehmer zu einer gemeinsamen Linie finden.

Van Rompuy wird ein Papier vorlegen, das langfristig eine gemeinsame Schuldenpolitik fordert, wenn auch erst nach erfolgreich wiederhergestellter Haushaltsdisziplin. Details soll es dazu bis zum Dezember-Gipfel geben. Das ist weniger, als sich die meisten gewünscht haben, aber vielleicht mehr, als Deutschland mitmachen kann und will. Ohne Grundgesetzänderung wäre eine Haftung jeder für jeden nicht durchsetzbar. Wie schwierig der Weg dahin ist, zeigt die deutsche Diskussion um eine mögliche Volksabstimmung.

Im Gepäck haben die 27 Staats- und Regierungschefs zugleich einen Wachstumspakt, der mit 130 Milliarden Euro ausgestattet sein soll. Den Vorschlag hatten Hollande, Merkel, Monti und ihr spanischer Kollege Mariano Rajoy am vergangenen Freitag bei einem Treffen gemacht. Seither wird um den Vorschlag gestritten. Noch ist nicht geklärt, woher die Summe eigentlich kommen und nach welchen Kriterien sie vergeben werden soll. Der Rest des Programms für mehr Wachstum liest sich wenig beeindruckend: Vollendung des Binnenmarktes, Abbau von EU-Bürokratie, die die Unternehmen pro Jahr bis zu 40 Milliarden Euro kostet, eine Kapitalaufstockung der Europäischen Investitionsbank (EIB) und nach jahrelangem Streit auch ein Durchbruch zu einem gemeinsamen EU-Patent. Ein hoher EU-Diplomat gibt zu: "Das klingt nicht nach einem großen Wurf, aber gerade die Kleinigkeiten bringen sehr viel."

Die Skeptiker mit ihren hohen Erwartungen wird das wohl kaum überzeugen. "Von diesem Gipfel muss eine klare Aussage dazu ausgehen, wie sich Europa in Zukunft aufstellen will", heißt es deshalb in Brüssel. "Wenn es nicht wenigstens eine Grundsatzeinigung zu einer neuen Wirtschafts- und Währungsunion gibt, kann es keinen Durchbruch gegen die Krise geben", sagt ein Offizieller aus dem inneren Zirkel der EU-Führung. Aber noch weiß niemand, wo so viel Einigung herkommen sollte. Unmöglich ist das dennoch nicht. Heute treffen sich in Paris die Finanzminister Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Spaniens. Am Abend kommen Bundeskanzlerin Merkel und Staatspräsident Hollande zusammen. Athen. Erleichterung in Athen: Der Ökonomieprofessor Ioannis Stournaras soll neuer Finanzminister im pleitebedrohten Griechenland werden. Das teilte das Büro von Ministerpräsident Antonis Samaras gestern mit. Der 55-jährige Wirtschaftsexperte von der Universität Athen fordert seit Jahren Reformen und eine Verschlankung des Staates. Dies sei der einzige Ausweg aus der schlimmsten Krise in der jüngeren Geschichte des Landes. "Wir müssen regelrecht Mauern von etablierten Kreisen und Denkweisen durchbrechen, die die Reformen nicht wollen", sagte Stournaras laut TV-Berichten gestern in Athen. "Wir werden es aber schaffen", gab er sich überzeugt. Stournaras war in den vergangenen Wochen Wirtschaftsminister der Interimsregierung, die Griechenland zu den Wahlen am 17. Juni führte. Der 55-Jährige setzt sich für den Verbleib Griechenlands im Euroland ein. Er hatte bereits an den Verhandlungen zum Beitritt seines Landes zum Euroland teilgenommen. Der designierte Finanzminister Vasilios Rapanos hatte am Montag aus gesundheitlichen Gründen auf sein Amt verzichtet. dpa

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Europa am Wendepunkt

Von SZ-KorrespondentDetlef Drewes

Der Gipfel entscheidet über nicht weniger als die Zukunft der Euro-Zone. Wird sie weiter anfällig bleiben, weil jeder macht, was er will und dadurch alle gefährdet sind? Oder kann sie zu einer stabilen Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft ausgebaut werden? Auch die Bundeskanzlerin weiß, dass nur "mehr Europa" am Ende helfen kann, aus der Schuldenfalle herauszukommen. Und die anderen Regierungschefs wissen, dass ohne strikte Budgetdisziplin kein Weg in eine Union hineinführt, in der die Staaten große Teile ihrer Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik vergemeinschaften. Beide Seiten sind sich näher als es scheint. Von ihnen wird nicht verlangt, dass sie jetzt die politische Union ausrufen. Aber es wird sehr wohl von ihnen erwartet, dass sie eine Perspektive aufzeigen und einen Fahrplan erarbeiten, der den Weg dorthin zeigt.

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