Historisches Museum Mit Bubikopf, Charleston und Art déco

Hundert Jahre Versailler Vertrag, hundert Jahre Saarland: Die Unterzeichnung des Friedensvertrages von Versailles war die Geburtsstunde des Saarlandes. Das Historische Museum Saar blickt in der Ausstellung „Die 20er Jahre – Leben zwischen Tradition und Moderne im internationalen Saargebiet“ auf dieses Schlüsseljahrzehnt zurück.

 Eines der ersten Motorräder im Saargebiet: Karl Weber „Mebber-Karl“ aus Steinbach bei Ottweiler mit dem ältesten Motorrad im Ort, um 1920.

Eines der ersten Motorräder im Saargebiet: Karl Weber „Mebber-Karl“ aus Steinbach bei Ottweiler mit dem ältesten Motorrad im Ort, um 1920.

Foto: GMLR

Im Jahr 1919 verhandelten die Siegermächte des Ersten Weltkrieges in Versailles die Neuordnung Europas. Festgeschrieben wurde das Ergebnis im Versailler Vertrag, der am 10. Januar 1920 in Kraft trat. Ein Schlüsseljahr für das heutige Saarland, denn die damalige Saarregion wurde aus dem Deutschen Reich herausgetrennt und zu einem neuen politischen Territorium zusammengefasst. Es entstand ein künstlich geschaffenes Gebilde, das sich aus einem bayerischen und einem preußischen Teil zusammensetzte. Der offizielle Name lautete „Saargebiet“. Das Saarland ist also ein Produkt des Ersten Weltkrieges.

Die Alliierten stellten das Saargebiet unter das Mandat des neu gegründeten Völkerbunds. Verwaltet wurde es von einer fünfköpfigen internationalen Regierungskommission, die stark unter französischem Einfluss stand, so dass Frankreich praktisch die Politik an der Saar bestimmte. Gleichzeitig wurde im Versailler Vertrag festgeschrieben, dass die Saarländer 1935 eine Entscheidung über ihre weitere Zukunft treffen sollten: die Zugehörigkeit des Gebietes zum Deutschen Reich, zu Frankreich oder die Beibehaltung des Status quo.

Die „Golden Twenties“ waren eine Zeit des Umbruchs und des technischen Wandels. Das Historische Museum Saar lädt mit der Ausstellung „Die 20er Jahre – Leben zwischen Tradition und Moderne im internationalen Saargebiet“ zu einer Zeitreise in diese Epoche ein. Dabei verrät der Titel bereits, dass sich auch die Menschen im Saargebiet in einem Spannungsfeld zwischen Beharren und Aufbruch befanden. Vielleicht sogar stärker noch als im Deutschen Reich, von dem sie nun abgetrennt waren. Denn eine neue Lebensidentität zu bilden wurde schwierig. Einerseits waren Bergbau und Stahl identitätsstiftend, andererseits standen die Menschen plötzlich unter einer fremden Verwaltung und mussten sich Freiräume oder Mitbestimmung mühsam erkämpfen – eine schizophrene Situation.

Die Ausstellung richtet daher einen besonderen Blick auf den bewegenden Lebensalltag der Menschen in der Region. Ausstellungskuratorin Jessica Siebeneich: „Die Ausstellung legt erstmals auch den Fokus auf das Alltagsleben der Menschen im Saargebiet und weniger auf die politische Geschichte, die gut erforscht und in der Dauerausstellung unseres Museums detailliert dargestellt ist. So bekommen die Besucher zum Beispiel Einblicke in Bereiche wie Warenwelten, Mode, Elektrifizierung und Kino.“ Der Kinogeschichte widmet sich ein vom K8 Institut für strategische Ästhetik gestalteter kompletter Raum im Obergeschoss, war doch der Kinobesuch ein probates Mittel, dem Lebensalltag zu entfliehen. Etwa 38 „Lichtspielhäuser“ gab es im Saargebiet, davon bis zu zehn in Saarbrücken, in denen zwischen 1920 und 1929 rund 1500 Filme liefen. Via Touchscreen lassen sich im Kinoraum der Ausstellung gut 700 Titel abrufen, oft mit Filmausschnitten.

Reiner Jung, stellvertretender Direktor des Historischen Museums Saar, erläutert: „Durch die Fokussierung auf die Alltagsgeschichte findet man einen Zugang zu dieser Epoche, die 100 Jahre zurückliegt, vor allem über Themen wie Mobilität und Freizeit. Nach einer arbeitsreichen Woche nutzten die Menschen im Industrierevier die knapp bemessene freie Zeit meist zum Wandern oder zum Engagement in einem der vielen Vereine.“

Lebendig werden die 20er Jahre in der Ausstellung durch den umfangreichen Medieneinsatz, interaktive Stationen und zahlreiche Originalobjekte. Auf die Atmosphäre legen die Ausstellungsmacher großen Wert, die Inszenierung ahmt eine Straßenszene mit Original-Fahrrädern und Motorrädern, mit Litfass-Säulen und einem simulierten Tag-Nacht-Wechsel nach. Museumsdirektor Simon Matzerath betont: „Die Ausstellung im Historischen Museum Saar beleuchtet die internationalen Jahre des Saargebiets. Viele der gezeigten Objekte und Fotos sind zum ersten Mal zu sehen, unter anderem Dokumente aus dem Archiv der vereinten Nationen in Genf.“ Im Imhof-Verlag erscheint ein Begleitband zur Ausstellung. hup

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort