„Mindestlohn schützt vor Schmutzkonkurrenz“

München · Der Ruf nach Korrekturen am Mindestlohn wird immer lauter. Dagegen fordert DGB-Chef Reiner Hoffmann im Gespräch mit unserem Berliner Korrespondenten Stefan Vetter, auch noch die Ausnahmen für Jüngere bis 18 Jahre und Langzeitarbeitslose zu streichen.

Wagen Sie eine Prognose, wer sich bei dem ganzen Streit am Ende durchsetzen wird?

Hoffmann: Wir gehen davon aus, dass sich die Vernunft durchsetzt, auch bei Unionspolitikern, die dauernd neue Ausnahmen fordern. Es ist frech, jungen Menschen zu unterstellen, dass sie lieber für Niedriglöhne arbeiten, als eine Ausbildung zu machen. Wir brauchen keine Ausnahmen, sondern mehr Lehrstellen.

Aber schon jetzt bleiben viele Lehrstellen unbesetzt.

Hoffmann: Ich verweise gerne auf den Nationalen Bildungsbericht, der konstatiert den Lehrstellen-Mangel ebenfalls. Wer Langzeitarbeitslose zusätzlich durch die Sechs-Monats-Frist stigmatisiert, erreicht nur, dass sie danach wieder arbeitslos werden.

Ist es wirklich wirtschaftlich vernünftig, alle Arbeitsbereiche beim Lohn über einen Kamm zu scheren? Beim Zustellen von Zeitungen etwa geht es nicht um Dumpinglöhne, sondern um einen kleinen Nebenverdienst.

Hoffmann: Zusteller arbeiten nachts, bei Regen, Schnee, Sturm. Es geht nicht darum, ob das ein Nebenverdienst, eine Saisonarbeit oder ein Praktikum nach dem Studium ist, da wird überall ebenso gearbeitet wie in Vollzeitjobs. Einige Unionspolitiker befinden sich offenbar in einem Gefälligkeitswettbewerb für Unternehmer. Es geht um Würde und Existenzsicherung hart arbeitender Menschen, da darf es keine Ausnahmen geben.

Das geplante Gesetz soll der Stärkung der Tarifautonomie dienen. Ist das nicht Etikettenschwindel? Die Politik greift massiv in die Lohnfindung ein.

Hoffmann: Die Unternehmen greifen in die Lohnfindung der Tarifpartner ein, wenn sie aus der Tarifbindung flüchten - das ist das Problem, nicht der Mindestlohn . Das geplante Gesetz hat schon dazu geführt, dass Arbeitgeberverbände Tarifverträge abgeschlossen haben, die über Jahre nicht dazu bereit waren, wie die Fleischwirtschaft und das Friseurhandwerk. Der Wirtschaft ist klar, dass der Mindestlohn sie vor Schmutzkonkurrenz schützt. Beim Urlaub gibt es auch gesetzlichen Mindestanspruch und weitergehende tarifliche Vereinbarungen - eine gelungene Kombination, die niemand in Frage stellen würde.

Die IG Metall fürchtet, dass die von der geplanten Mindestlohnkommission verabredeten Steigerungsraten wie Lohnleitinien wirken, die Tarifverhandlungen aller Branchen beeinflussen.

Hoffmann: Wir haben mit der BDA, also den Arbeitgebern, vereinbart, dass der Mindestlohn alle zwei Jahre angepasst wird, gekoppelt am amtlichen Index der allgemeinen Tariflohnentwicklung. Selbstverständlich nachlaufend zu den Branchentarifabschlüssen. Erst die Tarifabschlüsse, dann die Mindestlohnanpassung diese Reihenfolge ist wichtig, nicht nur für die IG Metall .

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