„Mindestlohn differenzieren“

Der Mindestlohn wird zum Prüfstein für eine schwarz-rote Koalition. Die SPD will als Einstieg flächendeckend 8,50 Euro, die Union setzt auf tarifliche Lösungen. Joachim Möller, Direktor des Forschungsinstituts IAB der Bundesagentur für Arbeit, plädiert im Gespräch mit SZ-Korrespondent Stefan Vetter für unterschiedliche Mindestlöhne in Ost und West.

Herr Möller, brauchen wir einen Mindestlohn in Deutschland?

Möller: Wenn Sie mich das vor 20 Jahren gefragt hätten, hätte ich mit "Nein" geantwortet. Inzwischen ist die Tariflandschaft jedoch sehr zerklüftet. Der Arbeitnehmerschutz in den unteren Einkommensbereichen hat massiv gelitten. Deshalb brauchen wir einen allgemeinen, flächendeckenden Mindestlohn.

Die SPD hält flächendeckend mindestens 8,50 Euro für geboten. Sie auch?

Möller: Das ist eine schwierige Frage. Ein sehr niedriger Mindestlohn hat keinerlei Wirkung. Ist er zu hoch, führt das zu Beschäftigungsverlusten. 8,50 Euro sind in Ostdeutschland sicher nicht beschäftigungsfreundlich.

Was schlagen Sie vor?

Möller: Man könnte die Erfahrungen in Großbritannien nutzen. Dort wurde mit einem niedrigen Mindestlohn begonnen, der dann mit Hilfe einer unabhängigen Kommission schrittweise erhöht wurde. Anfangs waren dort etwa fünf Prozent der Beschäftigten betroffen. Ein Mindestlohn von 8,50 Euro hätte jedoch sofort Auswirkungen auf 25 Prozent der Beschäftigten in Ostdeutschland und etwa jeden Achten in Westdeutschland.

Und was folgt daraus für Sie?

Möller: Der Einstieg sollte niedriger ausfallen. Als die Zeitarbeitsbranche einen Mindestlohn eingeführt hat, tat sie das mit einer Differenzierung zwischen Ost und West. Konkret sind das 7,50 Euro beziehungsweise 8,19 Euro. Die Zeitarbeit würde sich als Vorbild für einen flächendeckenden Mindestlohn eignen, weil Leiharbeiter in vielen Branchen tätig sind.

Die SPD will aber keine Differenzierung zwischen Ost und West.

Möller: In den meisten Branchen, in denen es jetzt schon Mindestlöhne gibt, haben wir diese Ost-West-Unterschiede. Und sie sind auch sinnvoll. Denn das Lohngefälle zwischen Ost und West ist zum Teil immer noch deutlich ausgeprägt. Deshalb dürfen wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Bei einem Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro riskieren wir im Osten Arbeitsplatzverluste.

In welchen Größenordnungen werden die liegen?

Möller: Das lässt sich immer erst im Nachhinein genauer ermitteln. Wir wissen aber aus einer früheren Untersuchung über die Einführung eines Mindestlohns in der Baubranche, dass es im Osten Beschäftigungsverluste gab, im Westen dagegen nicht.

Demnach wäre der Ansatz der Union, Lohnuntergrenzen stärker zu differenzieren, besser als das Einheitsmodell der SPD?

Möller: Nein. Die Idee für eine Differenzierung nach Ost und West wäre ein Kompromiss zwischen beiden Vorstellungen. Ich halte nämlich auch nichts von einem Flickenteppich bei Mindestlöhnen, differenziert nach Branchen und Regionen. Das ist viel zuviel Klein-Klein und intransparent. Alle Akteure müssen über die Höhe des Mindestlohns Bescheid wissen, um ihn einfordern zu können.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort