Merkel verärgert die Wirtschaft

München · Seit bald zehn Jahren ist Angela Merkel Kanzlerin. Zufrieden mit ihrer Wirtschaftspolitik war die deutsche Wirtschaft nie so recht – doch nun kulminiert der Ärger. Das ist gefährlich für die Union.

Die Münchner Handwerksmesse ist kein Ort für Aufstände. Alljährlich präsentieren in den Hallen am Rand der bayerischen Landeshauptstadt solide Mittelständler einem ebenso bodenständigen Publikum Attraktionen aus dem Handwerk - vom innovativen Dachziegel bis zur Tortengala der Konditoren. Und alljährlich trifft dort Kanzlerin Angela Merkel (CDU ) mehrere Dutzend Verbands- und Unternehmensvertreter zum Spitzengespräch der deutschen Wirtschaft. Doch dieses Jahr wehte vor dem Treffen ein leichter Hauch von Rebellion durch das sterile Kongressgebäude.

Der Unmut in der Wirtschaft über die Berliner Politik war schon 2014 stark gestiegen, hauptsächlich ausgelöst durch Mindestlohn , Rente mit 63 und die fehlenden Fortschritte in der Energiewende. "Wir vermissen das langfristige Konzept, eine langfristige Wirtschaftspolitik ", sagt BDI-Präsident Ulrich Grillo. Doch nun haben die Pläne zur Reform der Erbschaftsteuer das Fass zum Überlaufen gebracht. "Im Moment ist es so, dass wir quasi monatlich neue Belastungen bekommen", klagt Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer. Deswegen fordert die Wirtschaft ein "Belastungsmoratorium".

Mittelständische Unternehmer fürchten, dass ihre Kinder die Familienfirma verkaufen oder zerschlagen müssen, falls der Fiskus sie nach dem Tod der Eltern mit hoher Erbschaftsteuer zur Kasse bittet. Das empfinden viele als ungerechte Zusatzbelastung des Mittelstands. "Die Stimmung in den Unternehmen war noch nie so schlecht", sagt ein Teilnehmer. "Wir verlangen Reformen von allen anderen in Europa, und selber drehen wir das Rad zurück." Auch der Mindestlohn macht die Mittelständler ärgerlich. Neben der Bürokratie ist die Kontrolle durch bewaffnete Zöllner ein Ärgernis. Viele Unternehmer empfinden sie als Kriminalisierung.

Die Stimmungslage ist politisch gefährlich für CDU und CSU . Handwerk und Mittelstand sind Kernklientel für die zwei Parteien. Doch die Entfremdung ist spürbar. Horst Seehofer und seine CSU haben das aufgenommen und bilden nun koalitionsintern die erste Reihe des Widerstands gegen Schäubles Erbschaftsteuerpläne. Auch Merkel beschäftige sich mit den Themen intensiv, sagt ein Teilnehmer des Münchner Spitzengesprächs.

Doch die wirtschaftspolitische Glaubwürdigkeit der Union ist angekratzt. Besonders zufrieden mit Merkels Wirtschaftspolitik waren die Spitzenverbände noch nie. Zu Zeiten der schwarz-gelben Koalition pflegten sie sich zu beschweren, dass Union und FDP ihre unternehmerfreundlichen Versprechen nicht umsetzten.

Seit Amtsantritt der großen Koalition stellen die Unternehmer nun überrascht fest, dass diese den schwarz-roten Koalitionsvertrag bislang punktgenau umsetzt. Doch aus Sicht der Wirtschaft ist die Tatkraft der großen Koalition ebenso unerfreulich wie das frühere ergebnislose schwarz-gelbe Gezerre - denn umgesetzt werden hauptsächlich SPD-Pläne. Merkel bekundet nun Gesprächsbereitschaft, konkrete Zusagen gibt sie nicht.

Meinung:

Freunde nicht verprellen

Von SZ-RedakteurJoachim Wollschläger

Viele Stammwähler der Union dürften zurzeit recht fassungslos in Richtung Berlin schauen. Angesichts des guten Wahlergebnisses wäre zu erwarten gewesen, dass Merkel vordringlich Unions-Interessen vorantreibt. Stattdessen setzt der Koalitionspartner Schlag auf Schlag seine Programme um. Und die sind nicht dazu geeignet, die Wirtschaft zu erfreuen. Bisher konnten sich die Unionsparteien stets darauf verlassen, dass die wirtschafts-affinen Wähler ihnen die Treue hielten. Das allerdings könnte sich angesichts der aktuellen Politik ändern. Die Union ist auf dem besten Weg, ihre eigenen Anhänger dauerhaft zu verprellen.

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