„Meine Bilder sind ein Schlüssel zu mir selbst“

Nennig · Am ersten Weihnachtstag ist die Künstlerin Nora Hildebrand, die von 1945 an im Saarland eine Heimat fand, gestorben. Bis zuletzt hat sie an ihren Bildern gearbeitet.

 Nora Hildebrand 2011 in ihrem Haus in Nennig. Foto: Iris Maurer

Nora Hildebrand 2011 in ihrem Haus in Nennig. Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer

Sie lebte bis zum Schluss mit und in ihren Bildern. Am ersten Weihnachtstag starb Nora Hildebrand mit 95 Jahren so, wie sie es sich erträumt hatte - ganz ruhig und friedlich im Schlaf. "Losgelöst" - so hat sie selbst einmal ihr Lebensmotto benannt. Und so war auch der Katalog betitelt, mit dem sich die damals knapp 90-Jährige nach Jahrzehnten der kreativen Zurückgezogenheit in ihrem Haus in Nennig 2011 einer breiteren Öffentlichkeit vorstellte.

Damals fasste Nora Hildebrand, die scheue Künstlerin, Mut, ließ einen Katalog mit den besten ihrer Werke drucken und stellte sich damit im Museum Schloss Fellenberg in Merzig vor. Das Ergebnis: eine Einzelausstellung zum 90. Geburtstag, eine imponierende Überblicksschau, die auch die eigenständige künstlerische Entwicklung der Malerin nachzeichnete, die sich seit den 50er Jahren zunehmend vom Gegenständlichen, Konventionellen entfernte und zur Abstraktion fand, obwohl in allen Bildern immer auch Motive zu erkennen sind. "Vorsichtig ertastete ich mir die Abstraktion und sie war es, die mich befreite", schrieb Nora Hildebrand 2011 im Vorwort zu ihrem Katalog. Je abstrakter ihre Kunst wurde, desto surrealer, skurriler - geheimnisvoller. "Meine Bilder sind ein Schlüssel zu mir selbst", sagte Hildebrand. An vielen arbeitete sie über Jahre immer wieder - bis zuletzt vor allem mit dem Zeichenstift.

Geboren wurde die Künstlerin als Nora Strengart am 1. September 1919 in Aachen. Nach dem Abitur in Lübeck studiert sie von 1939 bis 1944 an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Berlin. Der Krieg verhindert einen Abschluss, ihr erster Ehemann Klaus Miersen fällt 1944 drei Monate nach der Kriegstrauung. Nora zieht mit ihren Eltern ins Sudetenland , erlebt eine schreckliche Flucht, landet schließlich 1945 in Saarbrücken, wo sie sich über zehn Jahre lang als Kinoplakatmalerin durchschlägt. Erst Mitte der 50er Jahre traut sie sich wieder an die "Freie Kunst". Sie zeichnet viel, heiratet Emil Hildebrand, beteiligt sich als Mitglied des Bundesverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) an einigen wenigen Ausstellungen. Es sind die vielen Reisen mit Emil, die sie künstlerisch inspirieren - Dutzende von Skizzenbüchern mit Reise-Eindrücken sind noch in Hildebrands Nachlass zu entdecken. Gleichzeitig verarbeitet sie ihre schlimmen Kriegs-Erlebnisse, die innere Zerrissenheit einer Frau, die lange Zeit ganz "losgelöst" auf der Suche nach Heimat war, in ihren zunehmend abstrakten Bildern.

In ihrem Haus in Nennig , in das sie Anfang der 70er Jahre zog, scheint sie schließlich eine Heimat gefunden zu haben. Seit dem Tod ihres Mannes 1991 lebte und arbeitete sie dort allein. Doch einsam war Nora Hildebrand nicht. Sie teilte ihren Alltag mit ihren Bildern wie mit Gefährten, deren Gesellschaft im Atelier sie am liebsten nachts bis in die frühen Morgenstunden genoss. Um diese treuen Gefährten sorgte sie sich bis zum Schluss wie eine Mutter. "Meine Bilder sollen mit Menschen leben, wenn ich nicht mehr bin", formulierte sie vor fünf Jahren in einem Interview ihren Wunsch. Er wird hoffentlich in Erfüllung gehen.

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