Mehr Lohn, weniger Minijobs

Berlin · Der Mindestlohn bleibt umstritten. Die Gewerkschaften kommen zu dem Schluss, dass seit Einführung der Lohnuntergrenze die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs zugenommen hat. Die Arbeitgeber gehen hingegen weiterhin von negativen Folgen für den Arbeitsmarkt aus.

Hunderttausende Arbeitsplätze würden durch die Lohnuntergrenze von 8,50 Euro wegfallen, warnten verschiedene Wirtschaftsinstitute vergangenes Jahr. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD ) zitierte gestern entsprechende Horrorszenarien nach rund einem Dreivierteljahr Mindestlohn mit sichtlicher Genugtuung. Eingetreten sieht sie von alledem nichts. "Wirtschaft und Arbeitsmarkt schultern den Mindestlohn ohne Mühe", sagte Nahles. Ungelernte und Angelernte hätten ihren Verdienst im ersten Quartal um überdurchschnittliche 4,0 beziehungsweise 2,8 Prozent gesteigert. Besonders in Ostdeutschland und in Niedriglohnbranchen wie der Gastronomie oder bei Wach- und Sicherheitsdiensten habe der Mindestlohn den Beschäftigten ein spürbares Lohnplus gebracht. Sie hoffe auf eine Anhebung der Lohnuntergrenze zum 1. Januar 2017, sagte Nahles. Dafür zuständig ist die Mindestlohnkommission aus Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgebern.

Eine der deutlichsten Entwicklungen ist der Rückgang bei den Minijobs. Laut Minijob-Zentrale sind seit Jahresbeginn konstant rund 200 000 weniger Minijobber tätig als 2014 und auch als im Mittel der letzten Jahre. "Das ist auffällig", so ein Sprecher. Doch "können wir nicht feststellen, ob diesen Personen wegen des Mindestlohns gekündigt wurde und sie nun arbeitslos sind, oder ob sie in sozialversicherungspflichtige Jobs gewechselt haben." Für Thorsten Schulten, Arbeitsmarktexperte des gewerkschaftsnahen Forschungsinstituts WSI, ist aber eines auffällig: Besonders viele reguläre Jobs seien in Branchen mit traditionell vielen Minijobs wie Handel oder Gastgewerbe entstanden.

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer hingegen betonte, unterm Strich sei die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung seit Jahresbeginn nur wenig stärker gewachsen als in den Jahren zuvor. Sie lag Ende Juni bei 30,7 Millionen. "Vielmehr ist zu befürchten, dass zahlreiche Arbeitsplätze verloren gegangen sind", sagte Kramer. Auch forderte er weitere Korrekturen bei der Dokumentation: "Es wäre für alle Beteiligten viel einfacher, die Aufzeichnungspflichten bei einem Stundenverdienst von mehr als zehn Euro enden zu lassen." Bei Minijobs sollte die Aufzeichnung der Dauer der wöchentlichen statt der täglichen Arbeitszeit genügen.

Probleme sehen die Gewerkschaften indes weiter durch Tricks und Umgehungsstrategien. Viele Minijobber arbeiteten mehr Stunden als in ihren Verträgen stehen, es werde Trinkgeld angerechnet oder ein Teil des Lohns in Gutscheinen bezahlt. DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell ermutigte die Beschäftigten, ihre Arbeitszeiten genau zu dokumentieren und ihren Lohn einzuklagen. Dies sei bis zu drei Jahre im Nachhinein möglich.

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