„Manchmal dachte ich: Das kann doch alles gar nicht wahr sein“
Am 26. September 1980 kommen bei einer Bomben-Explosion am Eingang des Oktoberfests 13 Menschen ums Leben, 211 werden verletzt. Steckt tatsächlich ein Einzeltäter hinter dem Anschlag, wie Behörden bis heute behaupten? Immerhin hatte der Mann Kontakt zu Rechtsextremen. BR-Journalist Ulrich Chaussy beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit dem Fall. Der Ophüls-Spielfilm „Der blinde Fleck“ erzählt die Geschichte seiner nervenaufreibenden Recherche. SZ-Redakteur Johannes Kloth sprach mit Chaussy.
Sie haben mit Ihren Recherchen begonnen, als bereits zwei Jahre nach dem Oktoberfest-Attentat die Ermittlungen eingestellt wurden. Hätten Sie sich damals vorstellen können, dass Sie der Fall über 30 Jahre lang beschäftigen würde?
Chaussy: Es hat eine Weile gedauert, bis mir die ganze Dimension der Tat und der bisherigen Ermittlungsversäumnisse bewusst wurde. Mir war klar, dass ich mich in die Sache werde reinknien müssen. Aber von einer solchen Zeitspanne bin ich natürlich nicht ausgegangen.
Bis heute wird offiziell angenommen, dass der 21-jährige Student Gundolf Köhler alleine für das Attentat verantwortlich war. Welches Motiv soll er für einen Anschlag gehabt haben, bei dem er selbst ums Leben kam?
Chaussy: Im Wesentlichen wurde das Motiv auf persönliche Schwierigkeiten Köhlers - Beziehungen zu Frauen, Misserfolge im Studium usw. - zurückgeführt. Es fand allerdings eine regelrechte Monsterisierung dieses jungen Mannes statt. Die Motiv-Frage wurde auf ziemlich manipulative Weise auf eine persönliche Ebene geschoben, obwohl es genug Anlass gegeben hätte, auch eine politische Motivation zu untersuchen. Köhler interessierte sich schon früh für die rechtsextreme Szene und nahm an Übungen der Wehrsportgruppe Hoffmann teil.
Stattdessen wurden 1982 die Aktendeckel geschlossen . . .
Chaussy: Und das ausgerechnet im Falle des schwersten Terroranschlags in der Geschichte der Republik, bei dem sich so viele Fragenzeichen auftaten. Es wäre anständig gewesen, dann wenigstens zu sagen: "Ok, alles, was wir unternommen haben, hat uns nicht weiter gebracht. Aber es gibt so viele unabweisbare Zeugenaussagen und Indizien, dass wir jede sich bietende Gelegenheit wahrnehmen werden, die Sache weiter zu verfolgen."
Diese Arbeit übernahmen dann Journalisten. Sie und Kollegen deckten etliche Ungereimtheiten und Ermittlungsfehler auf. Heute geht man von gezielter politischer Einflussnahme auf die Ermittlungen aus und von Verbindungen des oder der Täter zu geheimen paramilitärischen Einheiten. Hatten Sie nie Angst, sich zu verrennen?
Chaussy: Eines ist mir wichtig: Ich weiß nicht, wie dieses Attentat abgelaufen ist. Ich habe auch mit den großen Verschwörungstheorien nichts am Hut. Denn genau das habe ich ja erlebt: Ermittler, die eine Hypothese hatten und alles verwendeten, was sie dafür brauchen konnten, dagegen alles andere beiseite ließen. Klar: Als ich auf die ersten Hinweise stieß, dass der Staatsschutz-Chef im bayerischen Innenministerium die Ermittlungen torpediert und zerstört hat, da dachte ich schon manchmal: Das kann doch alles nicht wahr sein. Ich habe 1983/84 meine wichtigsten Erkenntnisse dem Opferanwalt Werner Dietrich überlassen, der sie in einen Wiederaufnahmeantrag übernahm. Es wurde auch ein wenig nachermittelt. Allerdings betraute man zum Teil exakt die Ermittler, denen man bereits Nachlässigkeiten und Fehler in der Sache nachweisen konnte. Das ist so, wie wenn sie einem Arzt, der einen Kunstfehler begangen hat, das Gutachten über die Frage anvertrauen, ob ein Kunstfehler begangen wurde. Das war schon sehr frustrierend.
Im Wettbewerb des Ophüls-Festivals läuft nun ein Spielfilm, dessen Drehbuch Sie mitgeschrieben haben. In "Der blinde Fleck" stehen Sie als Reporter, gespielt von Benno Führmann, im Mittelpunkt. Wie fühlen Sie sich als Protagonist eines solchen Helden-Epos?
Chaussy: Um es mal ganz direkt zu sagen: Ich hätte diese Art von Umgang mit dem Thema von mir aus nie vorgeschlagen. Der Spielfilm entstand aus der ursprünglichen Idee einer halbdokumentarischen Films, bei dem ich als Person auch gar nicht vorgekommen wäre. Allerdings fanden wir keine Finanzierung. Der Vorschlag eines Spielfilms kam von Daniel Harrich und Arte-Redakteur Jochen Kölsch.
Hatten Sie nicht Bedenken, dass die Fiktionalisierung das reale Geschehen zu sehr verzerren könnte?
Chaussy: In meinem gerade neu aufgelegten Buch dokumentiere ich ja den Gang der Recherche, den ich als Journalist beschritten habe, genauestens. Und ich finde, dass die gewählte Fiktionalisierung die innere Wahrheit der Geschichte nicht verletzt. Zuspitzungen und Dramatisierungen innerhalb eines 90-Minuten-Spielfilms sind völlig legitim.
Eines hat der Film schon bewegt: Nach der Vorführung im bayerischen Landtag hat Innenminister Herrmann dem Opferanwalt erstmals vollständige Einsicht in die Spurenakten zugesichert.
Chaussy: Ja, das ist interessant. Da macht man 30 Jahre lang Rundfunk-Features und schreibt ein Buch zum Thema - und Politiker und Behördenleiter wischen sich das wie Staub von den Schultern. Dann kommt ein Spielfilm, der die Geschehnisse in fiktionalisierter Form erzählt, und der entfaltet plötzlich eine ganz andere Kraft. Ich finde es schön, dass das Thema durch den Film aus der Fiktionalisierung nun wieder in die Realität zurückgeholt wurde.
Glauben Sie, dass der Fall jemals vollständig aufgeklärt wird?
Chaussy: Das weiß ich nicht. Ich weiß nur: Es sind unheimlich viele Chancen verpasst worden. Und zwar unwiderbringlich. Zum Beispiel, dass man nicht intensiver mit den Aussagen der Zeugen gearbeitet hat, die Köhler in Begleitung weiterer Personen gesehen haben wollen. Oder dass Asservate vernichtet wurden. Manchmal werden Taten aufgeklärt, wenn Menschen am Rande ihrer Lebenszeit ihr Gewissen erleichtern wollen. Aber das ist natürlich nicht prognostizierbar.
Ulrich Chaussy: Oktoberfest - Das Attentat. Wie die Verdräng-ung des Rechtsterrors begann. Ch. Links Verlag, 272 S., 19,90 €.
Saarbrücker Lesung mit Ulrich Chaussy und Benno Führmann: Heute, 17 Uhr, U2raum Klangraum, Ufergasse 2 (2. OG).