"Man weiß immer, was sie getan haben"

Mitten in der Schnittphase hat sich die Cutterin verabschiedet, erzählt Matthias Bittner. Das Ende einer Freundschaft. "Sie hatte Angst, dass sie an einem Film arbeiten könnte, der Sexualstraftäter zu positiv darstellt." Bittners Film "Not in my backyard" lässt nicht kalt, er provoziert immer wieder zwiespältige Empfindungen

 Matthias Bittner, bibbernd vor der Würstchenbude. Foto: Oliver Dietze

Matthias Bittner, bibbernd vor der Würstchenbude. Foto: Oliver Dietze

Mitten in der Schnittphase hat sich die Cutterin verabschiedet, erzählt Matthias Bittner. Das Ende einer Freundschaft. "Sie hatte Angst, dass sie an einem Film arbeiten könnte, der Sexualstraftäter zu positiv darstellt." Bittners Film "Not in my backyard" lässt nicht kalt, er provoziert immer wieder zwiespältige Empfindungen. Seine herausragende Dokumentation begleitet zwei auf Bewährung entlassene Sexualstraftäter in Miami. Ihren Bezirk dürfen sie nicht verlassen, sich keiner Stelle auf weniger als 750 Metern nähern, an der sich Kinder aufhalten. Nachts haben sie Ausgangssperre - alles kontrolliert mittels einer elektronischen Fußfessel. Sich so wieder in die Gesellschaft einzugliedern, ist damit nahezu unmöglich. Der Eine, Teofilo, bleibt obdachlos und übernachtet auf dem Parkplatz der Überwachungsbehörde; Elliot, der Andere, wohnt zwangsweise im Nirgendwo.Bittners Film begleitet beide, befragt sie zu ihren Taten und ihrer Situation. Man muss zeitweise Mitgefühl empfinden, was einen befremdet. "Ich nehme eine Perspektive ein, die einem nicht immer gefallen kann." Der Film kritisiert den Umgang der Behörden mit den Tätern - aber er macht sie dadurch nicht zu Opfern. Bewusst habe er etwa den biografischen Hintergrund von Elliot, selbst als Kind missbraucht, nur kurz angerissen. "Damit nicht der Gedanke aufkommt, der Film wolle damit irgendetwas erklären oder auch nur ansatzweise entschuldigen. Man ist sich immer bewusst, was sie getan haben", auch durch Bittners Fragen, deren angemessen scharfer Ton von einigen seiner Dozenten "als zu staatsanwaltlich" kritisiert wurde, zu Bittners großer Überraschung.

Glaubt er den Männern? Teofilo, der den Missbrauch seiner Nichte durch völligen Drogenrausch zu relativieren sucht, und Eliott, der sagt, die 15-Jährige, mit der er schlief, habe sich als 19 ausgegeben? "Ich zweifle, aber um die Schuld geht es mir nicht in erster Linie, sondern um die Frage, wie man jemanden kontrollieren kann, den man abseits der Gesellschaft stellt?"

"Not in my backyard" ist Bittners Drittjahresfilm in Ludwigsburg und der einzige seines Jahrgangs, der dort nicht die Zusatzfinanzierung eines Fördervereins erhalten hat. Das Thema schreckt ab. Er bot seinen Film dem Dokumentarfilmfestival von Miami an, das ihn ablehnte - das Thema war wohl zu unbequem. "Das hat mich enttäuscht, aber auch bestätigt." Locarno nahm den Film und zeigte ihn als Weltpremiere. Anerkennung und auch ein Karrierebaustein. Der Druck, früh bekannt zu werden, sei unter den Studenten enorm hoch. "Es gibt so viele Regisseure, die von der Hochschule strömen."

 Matthias Bittner, bibbernd vor der Würstchenbude. Foto: Oliver Dietze

Matthias Bittner, bibbernd vor der Würstchenbude. Foto: Oliver Dietze

Was machen die beiden Männer heute, anderhalb Jahre nach den Dreharbeiten? Elliot lebt jetzt im finstersten Viertel Miamis und hat sein fünftes Kind bekommen. Teofilo sitzt wieder ein: Er habe die Situation und möglicherweise seine Schuld nicht mehr ertragen und bewusst gegen die Bewährungsauflagen verstoßen, hat Bittner aus Teofilos Umfeld gehört. Seine Haft dauert bis 2018.

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