„Er hat Werte geliebt und gelebt“

Sulzbach · Wilhelm Abraham

 Wilhelm Abraham

Wilhelm Abraham

Foto: privat

Wilhelm Abraham wurde am 11. Januar 1920 in Nordhausen im Harz geboren. Über seine Familie und seine Eltern ist wenig bekannt. Er war der jüngste von vier Geschwistern.

Ich bin mit Bärbel Schorr, einer in Sulzbach lebenden Künstlerin, zu diesem Gespräch verabredet. Ihre inzwischen verstorbenen Eltern und auch sie waren mit Wilhelm Abraham befreundet. Sie erzählt, dass der Vater von Wilhelm Abraham Händler war und die Familie im Harz lebte. Sohn Wilhelm habe die Grundschule in Nordhausen besucht, dann eine kaufmännische Ausbildung nach drei Jahren erfolgreich abgeschlossen und sei dann 1939 zum Militär eingezogen worden: "Er war Funker. Er hat erzählt, dass er überall dort im Einsatz war, wo Krieg war, in Russland, in Nordafrika. In Frankreich geriet er in Gefangenschaft. Nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft wurde er Mitglied der französischen Gendarmerie, später dann bei der saarländischen Polizei, stationiert in Hühnerfeld und später in Sulzbach."

Sie erzählt, dass er Geige und Gitarre spielte, ein vielseitig interessierter junger Mann war, singen konnte, eine schöne Stimme hatte und seine spätere Frau Hildegard kennen lernte, die in einem Lederwarengeschäft in Sulzbach arbeitete. Die beiden heirateten, nur standesamtlich, nicht kirchlich: "Er war Dissident, konnte mit Konfessionen nichts anfangen. Aber er war ein Mensch, der Werte geliebt und gelebt hat. Die Ehe blieb kinderlos. Er liebte häusliche Arbeiten, konnte kochen und backen. Er hat sozusagen aus nichts was gemacht. Als es nach dem Krieg, als es kaum was zum anziehen gab, hat er aus Wolldecken Mäntel geschneidert. Er hat im Haushalt geholfen. Er war ein sehr geselliger Mensch, war Mitglied in vielen Vereinen, bei den Naturfreunden, im Schützenverein und auch bei der IPA, der International Police Association."

"Wer ist die IPA?" frage ich. "Eine weltweite Polizeiorganisation", sagt Bärbel Schorr. Ich habe zu Hause im Internet nachgelesen. Zitat: "Die IPA ist die größte internationale Berufsvereinigung von Polizeibediensteten. Sie hat etwa 420 000 Mitglieder in 62 Staaten."

"Und sonst?" frage ich. "Was hat er sonst noch gemacht?" Bärbel, die 1958 geboren wurde und den Polizisten Wilhelm Abraham nicht nur als Uniformierten, sondern auch als Zivilisten erlebte, sagt: "Er war hilfsbereit, ein ausgesprochen höflicher Mensch, auch als Polizist, der bei seinen Kollegen sehr geschätzt wurde. Ein Beispiel dafür ist, dass er einem Polizeikollegen, der Fußball spielte, sonntags aushalf und kurzerhand seinen Dienst übernahm. Einfach so, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Wilhelm war Polizist aus Leidenschaft."

"Was war mit Urlaub?", frage ich. "Er ist nie in Urlaub gefahren. Er hatte kein Auto, obwohl er einen Führerschein besaß. Er fuhr nur mit dem Polizeiauto. Er wollte auch nicht mehr reisen. Er sagte: ,Ich bin während des Krieges weit genug herumgekommen. Ich habe genug von der Welt gesehen. Auch vom Krieg. Das reicht mir.'"

1983 - er war 63 Jahre alt - wurde er pensioniert. Letzter Dienstrang: Polizeihauptmeister. Seine Frau Hildegard war seit vielen Jahren schwer krank. Er hat seine Frau liebevoll gepflegt, acht Jahre lang. Sie starb 1983, wurde in Sulzbach beerdigt. Wilhelm Abraham hat seine Frau auf ihrem letzten Weg begleitet. Was nun? Er unternahm viel, war mit den Naturfreunden unterwegs, auch mit der IPA, wo er viel Zeit und Arbeit investierte. Und er traf Berti Franz, die Cousine seiner verstorbenen Frau. Die beiden kannten sich seit ihrer Kindheit, trafen sich nun immer öfter, lebten aber weiterhin getrennt. Zwischen den beiden entstand eine Seelenverwandtschaft. Es war ein Segen, dass die beiden sich hatten, so war keiner allein und die Nachmittage waren mit Musik, Rätseln und Zeitunglesen gefüllt. Bärbel Schorr erzählt: "1991 wurde mein Sohn Philipp Schorr geboren. Wilhelm Abraham übernahm die Großvaterrolle. Er war der Ersatzopa. Wir lebten zusammen in einem Haus." Kurz entschlossen fahren Bärbel Schorr und ich nach Altenwald zu Berti Franz. Sie erzählt: "Wilhelm wohnte weiter in Sulzbach, ich in Altenwald. Er kam täglich mit dem Taxi. Er hatte ja keinen Wagen, abends ist er wieder nach Hause gefahren. Er war ein ganz lieber Mensch. Als er nicht mehr gehen konnte und an den Rollstuhl gefesselt war, habe ich ihn jeden Tag in Sulzbach besucht."

Als er sich zum Jahresende eine Bronchitis eingefangen hatte, konnte er sich nicht mehr mehr erholen, sein Körper hatte der Krankheit nichts mehr entgegenzusetzen: "Er starb am 17. Januar 2016, sechs Tage nach seinem 96. Geburtstag, den wir noch gemeinsam verbrachten. Er war nicht allein in seinem Sterben. Berti Franz war bei ihm und hielt seine Hand."

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