Märchen, Mythen, Gasmasken

Saarbrücken · Ein Genuss war die Premiere von „Die Frau ohne Schatten“ am Staatstheater. Und das, obwohl es zuvor eine schlechte Nachricht gegeben hatte: Marco Jentzsch, der den Kaiser singen sollte, war erkrankt.

 Zupackend: die Amme (Dalia Schaechter, links) und die Kaiserin (Marion Ammann). Foto: Björn Hickmann

Zupackend: die Amme (Dalia Schaechter, links) und die Kaiserin (Marion Ammann). Foto: Björn Hickmann

Foto: Björn Hickmann

Motive und Märchen, Mythen und Mirakel von Goethe bis Chamisso, vom Orient bis zum Okzident, finden sich in Hugo von Hofmannsthals "Die Frau ohne Schatten". Weiße Gazellen tummeln sich da und singende Bratfische, ein roter Falke, ein Talisman; Symbole munkeln im Dunklen. Umso erstaunlicher, wie Dominik Neuner, der Regisseur der Saarbrücker Aufführung, dieses von Richard Strauss vertonte Potpourri auf eine plausible, klar erzählte Geschichte zurückführt, wie er der verquasten Goldschnitt-Poesie Hofmannsthals das Papierne abstreift, das zugrundeliegende Märchen herausschält und auf eine einfache Bühne stellt: im nächtlichen Dunkel die Front eines düsteren Hauses, dessen Fenster die Spielfläche in drei Etagen erweitern - oben die Geister, unten die Menschen.

Vor der Premiere gab es eine Schreckensnachricht: Marco Jentzsch, der den Kaiser singen sollte, sei erkrankt. Dann Erleichterung: Ein Weltklasse-Tenor werde für ihn einspringen - Thorsten Kerl, der an den größten Bühnen gefeiert wird und diese Strauss-Oper im letzten Jahr an der Met sang. Die Vorfreude war groß, nur: Hofmannsthal/Strauss gönnen dem Kaiser in den ersten beiden Akten nur je einen Monolog und am Ende einen friedlichen Zwiegesang mit der Kaiserin. Nichts Dramatisches, kein Konflikt, kein Dialog. So konnte der Star, der in in Bayreuth als "intelligenter Gestalter" und mit der Gralserzählung "auf maskuline Weise attraktiv" gerühmt wurde, lediglich sein wundervoll sanftes Timbre zeigen.

Die Kaiserin hingegen (Marion Ammann) durfte gut nuanciert alle Register der Leidenschaft ziehen und beherrschte in ihrer großen Szene des letzten Aktes die Bühne. Sogar humoristische Akzente gelangen ihr, wenn sie etwa als vorgebliche Magd lässig mit dem Besen tändelte. Barak, den Färber (Olafur Sigurdarson), hat Strauss mit einfacher, fast einfältiger Musik charakterisiert. Sigurdarson bot prachtvolle Klangfülle, blieb bei den Ausbrüchen seiner Frau unbeirrt gelassen, während diese (Sabine Hogrefe) ihre wachsende Unzufriedenheit leidenschaftlich auslebte. Beeindruckend die Steigerung der beiden von stiller Intensität zu offener Aggression.

Gegensätze und Parallelen beider Paare zeichnete Neuner zum Teil ambivalenter und damit interessanter als der Textdichter selbst. Die Amme (Dalia Schaechter), Triebfeder des Ganzen, zeigte dank ihrer breiten Ausdrucksskala sowohl die Dämonie in den tiefen Lagen wie schneidende Klarheit in der Höhe; eben noch mütterlich anhänglich, wandelte sie sich mühelos in eine geschmeidige, intrigante Kupplerin.

Aus der großen Zahl weiterer Rollen ist der Falke (Onur Abaci) zu nennen, hier als reptilienhafte Chimäre (Kostüme: Susanne Hubrich) sowohl stimmlich wie darstellerisch überzeugend, sowie der kraftvoll martialische Bote (James Bobby). Grausige Menschenkarikaturen sind die drei Brüder des Färbers (Markus Jaursch, Hiroshi Matsui, János Ocsovai); weitere Rollen sind gut besetzt mit Judith Braun, Yuna-Maria Schmidt, Valérie Condoluci und Alexandra Paulmichl. Ein Sonderlob für Opern- und Kinderchor (Jaume Miranda, Mauro Barbierato, Hans-Joachim Hofmann), die ihre heiklen Partien gut meisterten, vor allem aber für das Staatsorchester. Unüberhörbar, dass Toshiyuki Kamioka am Pult stand: Klangfülle und Farbenreichtum dieser komplexen Partitur wurden hörbar, dazu gelungene Soli (meisterhaft: Konzertmeister und Solocellist). Als man ergeben den süßlichen Originalschluss erwartete, kam Neuners letzter Streich: Durch die allgemeine Harmonie schlurften Menschen mit Gasmasken über die Bühne. Und man verstand: Genau 1915, als diese Oper fertig war, setzte Deutschland als erste Nation Giftgas als Waffe ein. Eine schlüssige Aufführung, lang ohne Längen, ein Hörgenuss.

Weitere Termine: 19. Juni, 18. und 26. Juli. Karten:

Tel. (06 81) 309 24 86.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort