Luft für kleine Gewerkschaften wird dünner

448 mal ja, 126 mal nein – mit dieser satten Mehrheit hat die Koalition im Bundestag das umstrittene Gesetz zur Tarifeinheit verabschiedet. 16 Gegenstimmen aus der Unionsfraktion fallen da kaum ins Gewicht. Die letzte Hürde im Bundesrat ist eine Formsache, das Gesetz dürfte also im Juli in Kraft treten. Fragen zu möglichen rechtlichen Problemen und zu Auswirkungen des Gesetzes hat dpa-Mitarbeiter Basil Wegener beantwortet.



Was wird durch das Gesetz geregelt?

Ein Betrieb - ein Tarifvertrag. Dieses vom Bundesarbeitsgericht 2010 gekippte Motto soll den Betriebsfrieden wieder sichern. Tarifverträge von Minderheitsgewerkschaften sollen nicht mehr gelten, außer sie beschränken sich auf klar abgegrenzte Beschäftigtengruppen.

Sind zum Beispiel Bahnstreiks damit künftig nicht mehr möglich?

Doch, etwa wenn die größere Bahn-Gewerkschaft EVG sie anzettelt. Aber auch ein Streik der kleineren Lokführergewerkschaft GDL ist noch denkbar. Zum Beispiel, wenn sich EVG und GDL auf eine Zuständigkeit der GDL für alle Lokführer einigen und die GDL anderes Zugpersonal nicht mehr vertritt. Genau dies möchte die GDL aber derzeit - während die EVG auch für Rangierlokführer spricht.

Wie könnte die GDL noch unter Tarifeinheitsbedingungen weitermachen?

Erringt sie im aktuellen Tarifkonflikt so ein gutes Ergebnis etwa bei Überstunden-Regelungen, dass Bahnangestellte in größerer Zahl von der EVG zur GDL wechseln, könnte diese in mehr der rund 300 Bahnbetrieben als heute die Mehrheit stellen. Doch auch heute ist die GDL nach Schätzungen in einigen Bahnbetrieben die Mehrheitsgewerkschaft. In der überwiegenden Zahl ist das die EVG.

Wie soll künftig ermittelt werden, wer die Mehrheit hat?

Den Arbeitgeber geht es nichts an, ob ein Mitarbeiter in einer Gewerkschaft ist. Offenlegen sollen die Gewerkschaften ihre Mitgliederlisten deshalb auch künftig nicht. Das Zählen sollen Notare übernehmen, die dann über die Identität von Gewerkschaftsmitgliedern schweigen.

Was erhofft sich Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD )?

Eine Stärkung der Tarifautonomie. Gewerkschaften sollen verhandeln und kooperieren, und so soll letztlich die Arbeitnehmerseite gestärkt werden. Wenn kleine Gewerkschaften nur Sonderinteressen verfolgen, dann passiere das schließlich auf Kosten der Gesamtbelegschaft.

Welche Auswirkungen fürchten Kritiker?

Ein Hauen und Stechen im Betrieb. Jede Gewerkschaft will demnach die Nase bei den Mitgliedern vorn haben. Ohne Einigung zwischen den Gewerkschaften wolle es die Politik den Gerichten zuschieben, Arbeitskämpfe zu unterbinden. Denn Streiks werden dort als unverhältnismäßig zurückgewiesen, wenn damit etwas Unzulässiges durchgesetzt werden soll - wie der Tarifvertrag einer Minderheitsgewerkschaft.

Warum könnte das neue Gesetz verfassungsrechtlich problematisch sein?

Der ehemalige FDP-Bundesinnenminister Gerhart Baum kündigte an, nach Inkrafttreten des Gesetzes vor dem Verfassungsgericht zu klagen. Mehrere kleine Gewerkschaften und der Beamtenbund argumentieren, die kleinen würden die Tarifeinheit nicht überleben. Koalitionsfreiheit und Streikrecht seien in Gefahr. Tatsächlich hatte das Bundesarbeitsgericht 1984 betont, Tarifverhandlungen ohne Streikrecht wären nur kollektives Betteln. Aber vor Gericht wurde auch festgestellt, die Koalitionsfreiheit bedürfe der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung. Und im Gesetz steht nichts von einer Einschränkung des Streikrechts zu lesen.

Meinung:

Gut gedacht, mäßig gemacht

Von SZ-KorrespondentStefan Vetter

Bis 2010 galt: ein Betrieb, ein Tarifvertrag. Und niemand kann behaupten, dass Deutschland damit schlecht gefahren wäre. Die Republik steht auch deshalb wirtschaftlich gut da, weil die Tarifpartnerschaft funktioniert, weil Gewerkschaften meist verantwortungsvoll handeln. Mittlerweile gibt es aber Anzeichen, dass Spartengewerkschaften anderes im Sinn haben. Minderheiten werden zu einer dominierenden Macht. Der Bundestag will solche Gewerkschaften an die Leine legen. Fragt sich nur, ob das Gesetz zur Tarifeinheit dafür taugt. Hier sind Zweifel angebracht. Die Konstruktion ist verfassungsrechtlich heikel, weil ein Tarifvertrag durch einen anderen verdrängt werden kann. Eine Gewerkschaft aber, die nicht tariffähig ist, kann sich gleich auflösen.

Um blinder Gewerkschaftskonkurrenz zu Lasten Dritter etwas entgegenzusetzen, gibt es auch noch andere Wege. So könnte ein Schlichtungsverfahren zur Pflicht werden. Auch eine Vorschrift, Streiks länger anzukündigen, würde den schlechten Beigeschmack der Willkür bei manchen Tarifkonflikten mildern. Leider findet sich nichts dazu im Tarifeinheitsgesetz. Aber vielleicht muss die Regierung ja nachbessern. Es wäre nicht das erste Gesetz, das Karlsruhe nach Berlin zurückschickt.

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