Lohndumping durch die Hintertür

Brüssel · Die Beschäftigung von EU-Ausländern führt oft zu Sozialdumping. Das beklagt das EU-Parlament und streitet mit der EU-Kommission. Die wollte die Entsenderichtlinie so reformieren, dass die Kontrolle von Sozialstandards erschwert würde.

Der Betrieb besteht aus kaum mehr als einem Briefkasten kurz hinter der deutsch-tschechischen Grenze. Als Subunternehmen der Deutschen Bahn betreibt er einen Bus mit einem tschechischen Fahrer, der täglich 14 Stunden lang eine Strecke absolviert, die zu 95 Prozent auf deutschem Gebiet liegt. Der Mann erhält für 280 Arbeitsstunden im Monat ein Drittel des Gehaltes seiner deutschen Kollegen. Der Fall, der wegen des Verstoßes gegen das Arbeitszeitgesetz bei der Staatsanwaltschaft Passau liegt, hat in Brüssel Wellen geschlagen. "Es gibt viele Beispiele dafür, wie die Entsenderichtlinie von findigen Unternehmen ausgehöhlt wird", heißt es im Umfeld der EU-Kommission. Solche Praktiken sollen abgestellt werden.

Am Freitag rupfte der Beschäftigungsausschuss des EU-Parlaments einen Reformvorschlag der Kommission. Der sah trotz der fragwürdigen Ausnutzung der Entsenderichtlinie eine Preisgabe sozialer Standards vor. "Wir müssen Sozialdumping endlich wirksam bekämpfen und einen fairen Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt sicherstellen", betonten die Sozialdemokraten. "Gegen Sozialdumping und Briefkastenfirmen muss entschlossen vorgegangen werden", forderte der christdemokratische Sozialexperte des Parlaments, Thomas Mann.

Die Entsenderichtlinie legt fest, dass Arbeitnehmer im Gastland nach den gleichen Sozialstandards beschäftigt werden müssen wie ihre einheimischen Kollegen - gleicher Lohn, gleicher Arbeitsschutz, gleicher Urlaubsanspruch. Doch anstatt die Kontrollbefugnisse der Arbeitsinspektoren zu stärken, wollte die Kommission diese einschränken und dafür eine internationale Austauschplattform schaffen, die alle Informationen rund um Prüfung und Meldepflicht harmonisiert. Ein Vorstoß, der abgeschmettert wurde. Zudem drängten die Parteienvertreter auf die Generalunternehmer-Haftung. Wer also ausländische Dienstleister beschäftigt, wäre dann sozusagen bis zum letzten Glied der Subunternehmerkette verantwortlich, dass die EU-Bestimmungen eingehalten werden. Ob es dabei bleibt, ist ungewiss. Einige Mitgliedstaaten haben mit einer Verwässerung der Sozialschutz-Standards keine Probleme.

Mehr als Briefkästen

Die Fallstricke liegen im Detail. Wann liegt tatsächlich eine Entsendung vor? Welche Voraussetzungen muss ein Unternehmen erfüllen, um Arbeitnehmer überhaupt entsenden zu können? Ein Briefkasten allein soll künftig nicht reichen. Bisher enthält die Durchsetzungsrichtlinie zur Entsenderichtlinie, wie das Dokument offiziell heißt, dazu keine Klärung. Hinzu kommen Stolpersteine, die der Europäische Gerichtshof in mehreren Urteilen geschaffen hat. Da wurden Vor-Ort-Kontrollen verboten und das Streikrecht eingeschränkt. "Wir stehen vor einem wirklich komplizierten und sensiblen Thema für den Binnenmarkt, auf dem die Dienstleistungsfreiheit gelten soll", hieß es aus Berliner Regierungskreisen. Bisher hat die Bundesregierung klargemacht, dass sie bei den nationalen Kontrollbefugnissen keine Einschränkungen akzeptieren will.

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