„Literatur ist ein Seismograph“

Am Donnerstag startet die Leipziger Buchmesse. Als einer von rund 3000 Autoren reist auch Klaas Huizing nach Leipzig, um seinen aktuellen Roman „Bruderland“ vorzustellen. SZ-Redakteur Johannes Kloth hat mit dem Schriftsteller, Theologen und Chefredakteur des Saarbrücker Kulturmagazins Opus vorab gesprochen.

Am Donnerstag startet die Leipziger Buchmesse. Ein Pflichttermin?

Huizing: Ja, seit über 20 Jahren bin ich auf jeder Frankfurter und Leipziger Buchmesse, um meine aktuellen Bücher vorzustellen. Ich liebe besonders die Messe in Leipzig . Es ist eine klassische Lesermesse, bei der das Geschäftliche nicht so sehr im Vordergrund steht.

Aber Sie wollen doch wohl vor allem Ihre Bücher verkaufen. . .

Huizing: Wer ein Buch veröffentlicht, will auch gelesen werden, das ist doch klar. Aber anders als in Frankfurt, wo man bisweilen das Gefühl hat, die Autoren sind fast so etwas wie ein Störfaktor in dem ganzen Businesshype, fühlt man sich als Autor in Leipzig zuhause. Es gibt hunderte Lesungen an zum Teil entlegenen, fantasievollen Orten. Das ist toll.

Wie läuft so ein Messe-Besuch für Sie ab?

Huizing: Am Freitagmorgen reise ich an, um 17 Uhr besuche ich die "blaue Stunde" der saarländischen Verlage. Da herrscht eine ganz eigentümliche Atmosphäre, alle sind gelöst, man freut sich auf den Abend. Häufig geht man dann noch zusammen essen. Das Gute ist: Die Messetage beginnen nie besonders früh, am nächsten Morgen kann ich erstmal lesen und arbeiten. Dann geht es los mit den Terminen: Ich stelle meinen neuen Roman "Bruderland" vor, gebe Interviews und akquiriere selbst Erzählungen für Opus.

Das Saarland ist mit einem vom Land finanzierten Gemeinschaftsstand vertreten. Was halten Sie von dieser Art des Kultur- und Standort-Marketings?

Huizing: Die Literaturlandschaft steht mächtig unter Druck. Ich finde es wichtig, dass wir alles daran setzen, dass sie bunt und vielfältig bleibt. Bei der Kultur wird bekanntlich gerne der Rotstift angesetzt, was ich in vielerlei Hinsicht für einen riesigen Fehler halte. Deshalb ist es gut, dass die Politik hier Flagge zeigt, dass der Kulturminister auf der Messe Präsenz zeigt.

Über 175 000 Besucher und 2200 Aussteller werden erwartet. Sie bezeichnen die Atmosphäre als entspannt. Aber ist es nicht auch anstrengend?

Huizing: Sie müssen sich die Messe als Flaneur erschließen. Ich bin begeisterter Fußgänger, ich laufe durch Städte, bleibe hier und da mal stehen, und nach kurzer Zeit habe ich den Lärm vergessen. Das geht mir in den Messehallen genauso. Nach fünf, sechs Stunden Messe ist man dann tatsächlich geschlaucht. Dann hilft Rotwein.

Als Besucher sollte man sich also eher treiben lassen, ohne Terminkalender in der Hand?

Huizing: Die Durchökonomisierung der Welt lässt sich zwar kaum aufhalten, aber es ist gut, wenn man der Muße eine Chance gibt. Rennen Sie nicht zu jeder Prominenten-Lesung, machen Sie Entdeckungen! Es geht nicht nur darum, mitreden zu können, sondern einfach neugierig zu sein.

An die 100 000 neue Buchtitel kommen in Deutschland jedes Jahr neu auf den Markt. In den riesigen Messe-Hallen fragt man sich manchmal, wer das alles lesen soll. . .

Huizing: Vieles reguliert der Markt, auch wenn natürlich nicht immer das Beste nach oben schwappt. Ich bin aber immer wieder erstaunt, mit wie viel Aufmerksamkeit und Liebe in Deutschland zum Teil Bücher gemacht werden. Da gibt es perfekt gestaltete Bücher zu ganz speziellen Themen, die in kleinen Verlagen erscheinen. Man ist verblüfft, wie sie am Markt überleben.

Der aktuelle Trend auf dem Buchmarkt zeigt eine Stagnation bei der Belletristik , während der Sachbuchmarkt enorm wächst. Wie ist das zu erklären?

Huizing: Wir leben in Zeiten, in denen sich alle 20 Jahre unser Wissen verdoppelt. Ich glaube, diese Verschnellung der Wissensmassen löst das verständliche Bedürfnis aus, dem Stand eines Diskurses folgen zu können. Der Bedarf nach Orientierung ist in der Zeit der Neuen Unübersichtlichkeit, von der Habermas schon vor 30 Jahren gesprochen hat, riesig. Da kommt die ganze Ratgeberliteratur ins Spiel: Man neigt dazu, zu Autoren zu greifen, die eine Komplexitätsreduktion anbieten. Ich traue diesen Ratgebern aber nur sehr begrenzt. Komplexitätsreduktion ist etwas Gutes, setzt aber die souveräne Kenntnis einer Materie voraus.

Wie sehen Sie die Situation in der Belletristik ?

Huizing: Es gibt momentan eine Riege von Autoren, die Dystopien, also Romane über eine Welt nach dem Gau schreiben, etwa Leif Randt. Das ist ein sehr gewagtes Genre, man kann als Autor leicht daneben greifen. Aber auch ich sehe da spannende Themen, die Verschmelzung von Mensch und Maschine zum Beispiel, ein Thema, das uns in der Ethik längst beschäftigt. Oder denken Sie an die Neurochirurgie, die ganz neue Möglichkeiten der Heilung bietet, wie ich sie in "Bruderland" erzählt habe. Literatur ist immer ein Seismograf von Entwicklungen, das wird so bleiben.

Aktuelles Buch von Klaas Huizing: Bruderland. Ein Familienroman. Gollenstein , 272 S., 16,90 Euro.

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Auf einen BlickDie Leipziger Buchmesse, nach der Frankfurter die zweitgrößte deutsche Buchmesse, läuft von Donnerstag bis Sonntag. Mehr als 2200 Aussteller präsentieren sich auf 92 400 Quadratmetern Fläche. Vor allem das dazugehörige Literaturfestival "Leipzig liest", an dem rund 3000 Autoren teilnehmen, macht die Messe attraktiv für Leser. Das Saarland ist wieder mit einem Gemeinschaftsstand vertreten (Halle 5, F 200), an dem sich verschiedene regionale Verlage und Firmen der Kreativwirtschaft präsentieren. Erstmals gibt es dieses Jahr am Samstag einen "Saarländischen Abend": Ab 19.30 Uhr lesen im Theaterhaus Lofft (Lindenauer Markt 21) die Autoren Isabelle Aarchan (Conte), Angelika Lauriel (Burger), Klaus Brabänder (Edition Schaumberg) und Klaas Huizing (Gollenstein ). jklleipziger-buchmesse.de

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