Licht und Schatten des runden Leders

Klaus Zeyringer ist ein exzessiver Geschichtenerzähler. Sein Buch „Fußball. Eine Kulturgeschichte“ ist die passende Lektüre zur in wenigen Tagen startenden Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien.

 Ein Tor, das 1966 in Wembley zur Legende wurde: Der Engländer Geoff Hurst macht das bis heute umstrittene 3:2 in der Verlängerung des WM-Endspiels gegen Deutschland. Archivfoto: dpa

Ein Tor, das 1966 in Wembley zur Legende wurde: Der Engländer Geoff Hurst macht das bis heute umstrittene 3:2 in der Verlängerung des WM-Endspiels gegen Deutschland. Archivfoto: dpa

Der Fußballer Romário, der in Brasiliens Weltmeisterelf von 1994 ein gefeierter Held war, sitzt heute als Abgeordneter im Parlament. Er steht nicht gerade im Verdacht, etwas gegen den Sport zu haben. Gegen die Fußball-Lobby allerdings zieht er zu Felde: "Die Fifa kommt in unser Land und errichtet einen Staat im Staate", sagt er. Tatsächlich stellt die mächtige Fußballorganisation rücksichtslos ihre eigenen Regeln auf - und die Austragungsländer müssen sich ohne Wenn und Aber daran halten, wenn sie den Imagegewinn eines Weltmeisterschaftsturniers einstreichen wollen.

Wie man gerade in Brasilien sehen kann, geschieht das mitunter auch gegen den Willen des Volkes, das in den vergangenen Monaten mit Nachdruck auf der Straße seinem Unmut Ausdruck verlieh. Die Fifa-Bosse, die offiziell (und teils auch auf inoffiziellen Wegen) Millionen auf ihre eigenen Konten wirtschaften, kümmern diese Proteste in Brasilien ebenso wenig wie die unhaltbaren Arbeitsbedingungen der modernen nepalesischen Sklaven in Katar. Diese desillusionierende und wütend machende Analyse eines korrupten, mafiös anmutenden Klubs alter Männer steht am Ende einer umfangreichen Kulturgeschichte des Fußballs. Aber sie ist gewiss nicht das letzte Wort in der Geschichte dieses Sports.

Der Literaturwissenschaftler Klaus Zeyringer, der das anekdotenreiche Werk verfasst hat, lässt keinen Zweifel daran, dass Fußball fast von Anfang an mit der Politik verwoben war und gesellschaftliche Entwicklungen spiegelte - aber doch auch immer mehr gewesen ist: ein großes Theater, das Mythen und Legenden hervorgebracht hat, eine nie endende Erzählung, die Verklärung und Faszination hervorruft. Zeyringer hat eine immense Fleißarbeit vollbracht. Er schildert die Fußball-Historie von ihren Anfängen im England des 19. Jahrhunderts - wo das Spiel zunächst eine elitäre Angelegenheit an den Universitäten war - bis zu den kommerziellen Auswüchsen im 21. Jahrhundert. Dabei reist er durch alle wichtigen Fußballnationen, berichtet von der immer größeren Begeisterung der Massen für den Sport, die dann gerne auch von Diktatoren wie Franco oder Mussolini für ihre Zwecke genutzt wurde; erzählt von berühmten und genialen Fußballern wie dem Brasilianer Arthur Friedenreich, einem der ersten dunkelhäutigen Spieler, die für die Seleção auflaufen durften, von wegweisenden Teams, von fortschrittlichen Spielsystemen, von Nationalismus und Jahrhundertpartien, von der Mediatisierung und wie diese zur Entwicklung neuer Spielweisen geführt hat.

Zeyringer rekurriert zwar immer wieder auf theoretische Überlegungen zum Fußball, aber er tut das doch sehr dezent. Vielmehr erzählt er Geschichten, und das geradezu exzessiv. Viele davon sind in den Legendenschatz des Fußballs eingegangen - die von Fritz Becker, der am 5. April 1908 das erste Länderspieltor für Deutschland schoss, oder die des tragischen Helden Brasiliens, Mané Garrincha, ein gefeierter Star, der im Alter von 50 Jahren in Armut starb. Der Fußball kennt viele solcher "Volksmärchen", wie Zeyringer schreibt. Sie nun in einem Band zusammengetragen zu haben und dabei auch die Meta-Ebene dieses Sports nicht ganz aus den Augen zu verlieren, ist ein Verdienst. Eine gute Einstimmung auf die kommenden WM-Wochen.

Klaus Zeyringer: Fußball. Eine Kulturgeschichte. Fischer Verlag. 448 Seiten. 22,99 €.

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