„Leonce und Lena“ oder Müßiggang ist aller Paradiese Anfang

Saarbrücken · „Leonce und Lena“ lebt vom Regenbogen romantischer Anspielungs-Dichte, von einer rätselhaften Mischung aus Satire und Melancholie. Bei den „Überzwergen“ muss man sich auf reduzierte Farben einlassen.

 Valerio (Sebastian Hammer, l.) und Leonce (Nicolas Bertholet) auf der Bühne. Foto: Bellhäuser

Valerio (Sebastian Hammer, l.) und Leonce (Nicolas Bertholet) auf der Bühne. Foto: Bellhäuser

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Es hat schon seine Richtigkeit, dass man Georg Büchners "Lustspiel" in den vergangenen Jahren kaum je als solches sah. Obwohl in "Leonce und Lena" (1837) traurige Müßiggänger aus ihrem luxuriösen Unglück zum einfachen Liebes-Glück und zu frohgemuter Pflichterfüllung finden, also ins Paradies gelangen. Als Automaten. Also Vorsicht. Auch dieses Büchner-Stück wurde aus dem Dunkel heraus geschrieben und mit dem Zynismus eines engagierten und zugleich ratlosen Autors gewürzt, der gegen Klein-staaterei und Kleingeisterei in Deutschland kämpfte.

Auch Bob Ziegenbalg packt die "Konditoreiaspekte" nur mit spitzen Fingern an. Auf der "Überzwerg"-Bühne in St. Arnual blüht kein einziges Blümelein, auch den Mond schwärmen die Liebenden nur als Phantom an. Wenige schmale, weiße Projektionsflächen gliedern die leere, schwarze Spielfläche, lassen sich kippen und bewegen - das war's. Stefan Oberhauser hält die Ausstattung derart kahl, dass man Einfallslosigkeit unterstellen müsste, wären da nicht die mit historischen Rokoko-Details spielenden munter bunten Kostüme. Und wäre da nicht das dazu passende, ebenso ausgenüchterte Regie-Konzept: Nahezu text-konzentriert und gemächlich geht es zu. Dieser Effekt-Minimalismus reibt sich jedoch nicht ganz ohne Substanzverlust an Büchners träumerisch flirrendem Märchenspiel. Hier erlebt man es nahezu als Parabel, herausgemeißelt wird die archetypische Geschichte zweier Teenager. Die langweilen sich mächtig mit ihrer Revolte gegenüber jedweder Verpflichtung, brechen aus ihrem goldenen (Elternhaus-)Käfig aus und wählen in Freiheit just jenen Partner, der ihnen aufgezwungen werden sollte. Zuvor hat Leonce eine öde Sex-Beziehung mit einer nur als Projektion auftauchenden Rosetta. So gelingt ein fabelhafter Brückenschlag ins Internet-Zeitalter, zugleich eine köstliche Persiflage auf alle Männer-Phantasien.

Die Traumfrau stampft später ganz real als Punk-Lady mit rosa Perücke in Leonces Leben. Sabine Merziger bekommt in dieser Inszenierung allerdings nicht genug Text und Zeit, um mehr zu zeigen als Verhaltens-Stereotypen eines störrischen Sensibelchens. Ganz anders Valerio (Sebastian Hammer): Als altkluger Schludri und kindlich-albernes Schlitzohr erobert er Leonces Freundschaft. Den zeigt Nicolas Bertholet nicht als gedankenverlorenen Hamlet, sondern als recht stabilen Kerl. Dieser Gescheite fühlt keinen Welt-Ekel, sondern nur Verdruss ob all der Dusseligkeiten am Hofe Popo, die in Person von Isabelle de Garcia und Reinhold Rolser vortrefflich karikiert werden. Der größte Clown ist freilich Leonces Vater. Ziegenbalg lässt eine Rokoko-Knallcharge mit Herzmündchen herumtänzeln, einen im Amt überforderten Hysteriker und Wirrkopf ohne existenzielle Bedrängnis. Ralf Peter serviert ein tolles komödiantisches Zuckerbäcker-Praliné. Überhaupt segelt Ziegenbalgs "Leonce und Lena"-Version jenseits aller Büchner-Untiefen. Kurs? Pädagogisch wertvolles Theater.

Termine: 17., 18., 19., 20. April; Karten: Tel. (06 81) 958 28 30.

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