Leitartikel Wir dürfen Europa nicht den Europa-Hassern überlassen

In ganz Europa laufen sich rechtsextreme und nationalistische Parteien für die Europawahl im Mai warm. Das ist schon einmal ein Widerspruch in sich: Während sie den Einigungsprozess ablehnen, die Abgabe staatlicher Souveränität an die EU verachten und sich weitgehend der eigentlichen Arbeit eines Europaabgeordneten verweigern, hätten sie doch gern das Geld, das die EU zu verteilen hat.

Wir dürfen Europa nicht den Europa-Hassern überlassen
Foto: SZ/Robby Lorenz

Ihre Mitglieder wollen in den Genuss der Diäten kommen, der Möglichkeit, Mitarbeiter in Brüssel und im Wahlkreis zu beschäftigen. Daher bestimmen sie in diesen Wochen ihre Kandidatenlisten. So auch die AfD, die im Parlament in Straßburg und Brüssel derzeit nur durch ihren Chef Jörg Meuthen vertreten ist.

Meuthen, der sich in der Regel mit EU-Kritik und Sprüchen gegen Migranten zu Wort meldet, hat große Ziele. Er hofft, im nächsten Parlament Chef der Europa-Hasser zu werden – einschließlich der Abgeordneten des Front National. Die Fraktion der Nationalisten, Rechtsradikalen und eingeschworenen EU-Gegner könnte aktuellen Umfragen zufolge auf acht Prozent der Sitze kommen. Es könnte noch deutlich schlimmer kommen, sollte es dem Ex-Trump-Berater Steve Bannon gelingen, die Anti-EU-Kräfte zu bündeln.

Doch auch wenn sie am Ende keine Fraktion zusammenbekommen: Ein starker rechter Flügel würde den Pro-Europäern die Parlamentsarbeit massiv erschweren. Beim letzten Mal 2014 hatten Sozial- und Christdemokraten noch genügend Sitze, um aus eigener Kraft die Mehrheit bei der Wahl von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu stemmen. 2019 dürften sie dagegen auf Stimmen von Grünen und Liberalen angewiesen sein – so sehr drohen die ehemals Großen in der Wählergunst einzubrechen.

Für alle Freunde Europas geht es jetzt darum, einen engagierten Wahlkampf zu führen. Dabei sind sie gut beraten, wenn sie die Auseinandersetzung vor allem in der Sache suchen. Die Christdemokraten könnten zum Beispiel damit werben, sich für den Abbruch der Beitrittsgespräche mit der Türkei einzusetzen oder damit, dass sie die Vergemeinschaftung der Einlagensicherung von Sparguthaben der Banken in der EU ablehnen. Oder dass sie gegen eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung sind, in der mit deutschen Beiträgen Fortbildungen für Arbeitslose in Südeuropa bezahlt werden.

Grüne etwa könnten ihre Klientel mit dem Versprechen locken, Freihandelsabkommen nach dem Muster von Ceta und TTIP zu blockieren und sich radikal für eine ökologische Landwirtschaft einzusetzen. Selbst in der Migrationspolitik sollten die Parteien das Feld nicht kampflos den Europa-Feinden räumen. Sozialdemokraten können durchaus damit punkten, dass die EU-Außengrenzen gesichert wurden und die illegale Zuwanderung seit dem Höhepunkt der Krise 2015 drastisch zurückgegangen ist.

Es wäre dagegen ein Fehler, die Wahl zu einer Abstimmung über die EU an sich zu machen. Diese Strategie würde Wasser auf die Mühlen der EU-Gegner sein und ihnen noch mehr Wähler zutreiben.

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