Holocaust-Gedenktag Warum alle Schüler ein KZ besuchen sollten

Meinung · Soll der Besuch einer KZ-Gedenkstätte für Schüler in Deutschland Pflicht werden? Diese Frage wird seit Tagen kontrovers diskutiert. Es gibt für diese Pflicht zur Erinnerung gerade jetzt wieder sehr gute Gründe.

Warum alle Schüler ein KZ besuchen sollten
Foto: SZ/Roby Lorenz

Anita Lasker-Wallfisch, die morgen im Bundestag zum Holocaust-Gedenktag redet, wird eine der letzten sein. Sie ist 92 Jahre alt. Bald wird es keine Zeugen des Massakers mehr geben. Ihre Dokumente wird man zwar noch lange studieren können, die Videos der von Steven Spielberg gegründeten Shoah-Foundation, die großen literarischen Schilderungen von Marcel Reich-Ranicki, Imre Kertész oder Inge Deutschkron, die vielen wissenschaftlichen Untersuchungen. Doch je abstrakter der Holocaust für die jüngere Generation mit jedem Jahr wird, desto größer wird das Desinteresse werden.

Und desto stärker können dann die giftigen Aussagen jener wirken, die das alles als Fake-News verhöhnen. Weil sie wissen: Dieses Bollwerk namens „Nie wieder“ ist der Kern unserer bundesrepublikanischen Leitkultur. Es muss als Erstes geschleift werden, wenn man wieder anfangen will mit der Jagd auf Minderheiten, mit Rassismus, Antisemitismus, Homophobie. Deshalb hat AfD-Mann Björn Höcke von einem „Denkmal der Schande“ gesprochen, deshalb reden auch viele andere Rechte davon, dass mit der politischen Korrektheit oder der Erinnerungskultur mal endlich Schluss sein müsse.

Der Vorschlag, alle Schüler in Deutschland einmal in ihrem Leben in eine KZ-Gedenkstätte zu schicken, kommt daher gerade zur richtigen Zeit. Nicht nur wegen der palästinensischen und arabischen Jugendlichen, die mit ihrem Judenhass den Anstoß gaben. Sondern auch wegen des Wiedererstarkens deutscher Neonazis und Antisemiten. Gegen Zwangsbesuche wird eingewandt, dass so etwas bei der Jugend nur eine Gegenreaktion erzeuge und erst recht zu Abneigung führe. Freilich ist „Du Jude“ auch ohne solche Ausflüge zum gedankenlosen Schulhofspruch der Wahl geworden. Ebenso wie „Du bist ja behindert“.

Die KZ-Gedenkstätten sind die anschaulichsten Museen, die es zu diesem Thema gibt. Niemand verlässt sie nach einem Besuch so, wie er gekommen ist. Exkursionen in die einstigen Lager sollten daher verbindlicher Teil des Lehrplans im Fach Geschichte sein. Eingebettet in den Unterricht über die Zeit des Nationalsozialismus. Eine ausreichende finanzielle Förderung solcher Reisen durch die Länder gehört selbstverständlich dazu. Es geht nicht „nur“ um die Vermittlung eines monströsen Ereignisses, das mancher Ballerspiel gewohnte Jugendliche womöglich lediglich als „krass“ abspeichert. Es geht um grundsätzliche Erkenntnisse für unser Zusammenleben.

Der Massenmord ist erst da möglich, wo der Einzelne wegen seiner Religion, Rasse oder sexuellen Neigung stigmatisiert und dann diskriminiert wird. Der Massenmord braucht manipulierte Medien, fanatisierte Massen und viele, viele Gleichgültige. Jeder, der für Demokratie kämpft, für die Rechte des Individuums, einschließlich seiner eigenen, jeder, der nicht mitläuft mit den Dummen, hilft ihn zu verhindern. Schau Dich um, wie es heute ist, lautet die Lehre. Er fing damals im Kleinen an, in Deiner Straße, auf Deinem Schulhof. Und es wird wieder im Kleinen anfangen. Es liegt auch an Dir, so etwas zu verhindern. Hier und jetzt.

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