Leitartikel Warum es nach Hessen keine Neuwahl geben wird

Man kann das Ende der großen Koalition und Neuwahlen wegen eines womöglich katastrophalen Ergebnisses bei den Landtagswahlen in Hessen auch herbeireden. Wie CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer.

Vor der Hessen-Wahl: Kramp-Karrenbauer und die Agenda 2010 der Union
Foto: SZ/Robby Lorenz

Und ihr neuester Hinweis, dass der Flüchtlingsstreit der Union so zusetzt wie seinerzeit die Agenda 2010 der SPD, ist zwar nicht falsch, hat aber einen entscheidenden Haken: Damals handelte es sich um einen notwendigen Politikwechsel, um den dramatischen Reformstau zu beheben. Der Zoff in der SPD hat das Land vorangebracht. Das kann man von dem in der Union wahrlich nicht behaupten.

Aber vielleicht will „AKK“, die im Machtkampf um die Merkel-Nachfolge inzwischen auch mit fast jedem Satz eigene Interessen verfolgt, ihr Neuwahl-Szenario nur als Warnung verstanden wissen. Wenn dem so sein sollte, hat sie Recht: Ein Bruch der Groko in Folge der Hessen-Wahl an diesem Sonntag würde wieder monatelangen Stillstand bedeuten – und vermutlich das Ende der klassischen Volksparteien besiegeln. 20 Prozent plus X bei einer Bundestagswahl wäre dann ein satter Erfolg. Nicht vergessen werden sollte in diesem Zusammenhang übrigens, mit welchem Versprechen Union und SPD Anfang des Jahres den Koalitionsvertrag unterzeichnet haben: Stabilität fürs Land. Neuwahlen würden genau das Gegenteil bedeuten.

Daran kann doch kein Schwarz-Roter Interesse haben. Lediglich die AfD. Und die Grünen, die, wenn die Groko platzen sollte, auf die Fortsetzung ihres Höhenrausches und auf Ministerposten hoffen. Doch die Erfahrung lehrt: Die Grünen waren immer eine zyklische Partei, mal oben, mal unten. Selbst nach der Atomkatastrophe von Fukushima konnten sie ihren Aufschwung nicht konservieren. Warum sollte das diesmal anders sein? Jeder Hype geht einmal zu Ende.

Angela Merkel wird ihren Job jedenfalls auch nach einem Wahldesaster in Hessen nicht kampflos aufgeben. Wer wie Kramp-Karrenbauer, Jens Spahn oder Armin Laschet noch mehr werden will, muss sich seinerseits ins Zeug legen – und es mit Merkel aufnehmen. Das ist zuletzt die Botschaft der Kanzlerin gewesen. Vielleicht kann sie ihren Nachfolger schon nicht mehr bestimmen. Beim Zeitpunkt wird sie aber ein gehöriges Wörtchen mitreden. Der ist aus ihrer Sicht noch nicht gekommen. Selbst bei einer Schlappe in Hessen. Nicht umsonst betont Merkel seit Tagen, dass die Landtagswahl keine Bundestagswahl ist.

Ähnlich argumentiert SPD-Chefin Andrea Nahles. Die Genossen wären mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn sie ihr nach einer Niederlage den Stuhl vor die Tür setzen und die Koalition aufkündigen würden. Wer soll es denn machen? Die SPD hat in den letzten Jahren so oft den Parteichef gewechselt, dass man alle Namen schon nicht mehr zusammenbekommt. Belohnen würde der Wähler ein solches Vorgehen sicherlich nicht. Wie immer die Hessen-Wahl also ausgeht – in Berlin ist dann vor allem eins gefragt: Besonnenheit. Bei Union und SPD.

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