Leitartikel Parteien scheuen bei der Rente notwendige Antworten

Bloß keine Verunsicherung, flötet Angela Merkel, Horst Seehofer souffliert in gleicher Tonlage. Aber wie soll das gehen, wenn man jetzt schon alte Leute in Mülltonnen nach Pfandflaschen suchen sieht?

Union und SPD ohne Antworten in Renten-Debatte
Foto: SZ/Roby Lorenz

Wenn man weiß, dass die Masse der prekär Beschäftigten erst noch ins Ruhestandsalter kommt? Wenn absehbar ist, dass im Jahr 2040 das Verhältnis zwischen Einzahlern und Rentnern in Deutschland bei Zwei zu Eins liegen wird? Zwei Aktive auf einen Senior, heute sind es immerhin noch drei.

Verunsichert sind die Leute schon jetzt, vor allem die jungen Arbeitnehmer in der Familienphase, die so viel stemmen müssen und stark bezweifeln, ob sich das Beitragspunkte sammeln für sie überhaupt noch lohnt. Schon in ihrem letzten gemeinsamen Wahlprogramm haben Angela Merkel und Horst Seehofer auf diese Sorgen keine Antwort gefunden, sondern lediglich darauf verwiesen, dass eine Kommission das alles schon klären werde. Eine famose Art der Beruhigung. Wie die Kommission aus dem Quadrat einen Kreis machen soll, ohne dass sie politische Zielvorgaben bekommt, ist völlig offen.

Die SPD ist da mutiger – scheinbar. Olaf Scholz‘ Forderung, das Rentenniveau auch langfristig bei 48 Prozent zu halten, beantwortet allerdings nur den bequemen Teil der Frage. Das unterschreibt jeder. Den unbequemen, nämlich woher das Geld dafür genommen werden soll, lässt der Finanzminister offen. Steuererhöhungen werden angedeutet, auch der Mehrwertsteuer. Die belastet aber so richtig nur Klein- und Mittelverdiener und wäre die ungerechteste Art, das Problem zu lösen. Mit einem höheren Beitragssatz, 25 Prozent, liebäugelt Verdi-Chef Frank Bsirske, das macht er schon seit 2005. Klar, im öffentlichen Dienst spielt die Wettbewerbsfähigkeit nur eine geringe Rolle, also auch nicht die Belastung mit Lohnnebenkosten. In der Wirtschaft ist das anders.

Die SPD müsste, um überzeugen zu können, klar sagen, wie sie die Abermilliarden aufbringen will, die zur Stabilisierung der Renten nötig sind. Die Reichen böten sich an, über eine Vermögenssteuer. Oder die Einbeziehung von Einkünften aus Kapitalanlagen, die anders als Einkünfte aus Arbeit derzeit überhaupt nicht zur Finanzierung der Sozialsysteme beitragen. Zuletzt hatte die SPD von solchen Forderungen freilich lieber die Finger gelassen. Sie sind politische Stimmungskiller.

Wer einen Rentenwahlkampf beginne, werde schnell beim Steuerwahlkampf landen, freut sich schon FDP-Chef Christian Lindner. Denn Steuerwahlkampf kann naturgemäß besser, wer die Steuern immer nur senken will. Man könnte es aber auch Gerechtigkeitswahlkampf nennen und die FDP fragen, was denn ihre Alternative ist. Das Absinken des Rentenniveaus einfach hinnehmen, also auch die Altersarmut? Pflicht zur privaten Vorsorge? Eine einheitliche Grundsicherung, also Hartz IV für alle? Oder die Menschen einfach länger arbeiten lassen, bis 70 und älter?

Fragen über Fragen. Und bisher nur eine Antwort der Parteien: Bloß keine Verunsicherung.

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