Leitartikel Geht Demokratie auch ohne Volksparteien?

Es ist am Sonntag in Bayern mit den Grünen nicht eine Volkspartei dazu gekommen. Eher hat der Freistaat mit der SPD eine verloren. Wahrscheinlich sogar zwei. Denn die CSU, die früher immer sehr sensibel für die Entwicklungen in ihrer Wählerschaft war, kommt ganz offenbar mit den demografischen Veränderungen im Freistaat nicht mehr mit.

Meinung: Was kommt nach den Volksparteien?
Foto: SZ/Roby Lorenz

Wenn Wahlerfolge ein Maßstab für Volksparteien ist, dann sind sie eine aussterbende Spezies. Die Zukunft ist in der Stadt Berlin zu besichtigen: In der Hauptstadt haben fünf Abgeordnetenhaus-Parteien zwischen 14,2 und 21,6 Prozent. Durchschnitt: 16,8 Prozent. Wer den Regierungschef stellt, ist da fast schon Zufall. Laut den letzten Umfragen ist das kein Einzelfall. In keinem einzigen Bundesland erreicht demnach eine Partei noch über 40 Prozent, und mehr als 30 Prozent gibt es für CDU oder SPD auch nur noch in sieben von 16 Ländern. Die 20 vor dem Komma ist die Regel.

Eine Volkspartei bildet mehrere große Milieus ab. Doch die alten Milieus schwinden und bilden keine prägende Kultur mehr heraus. Selbstständig und Scheinselbstständig, Arbeitnehmer und prekär Beschäftigter, Rentner und Sozialhilfeempfänger, das liegt alles sehr nah beieinander. Die SPD ist schon länger keine echte Volkspartei mehr und die Grünen sind es noch lange nicht. Bei beiden überwiegen die intellektuellen Milieus, die Arbeiter fehlen. Die CDU ist nur im ländlichen Raum noch Volkspartei, nicht mehr in den Städten.

Eine Volkspartei ist immer eine Partei der Mitte. Sie sucht Lösungen für die Gesellschaft, die andere noch mittragen können. Unter diesem Gesichtspunkt sind weder die Linke noch die AfD Volksparteien, obwohl sie es in bestimmten Regionen Deutschlands von ihrer soziologischen Zusammensetzung und der Zahl ihrer Wähler her wären. Die Grünen hingegen entwickeln sich sehr wohl in diese Richtung. Sie machen sich anschlussfähiger für andere, wie ihre unterschiedlichen Koalitionen mal mit der SPD, mal mit der Union zeigen. Im Unterschied zu SPD und Union, deren Profil vor lauter Mitte inzwischen komplett heruntergeschliffen ist, halten sie in allen Fragen des Umweltschutzes, von Energie bis Landwirtschaft, freilich sehr konsequent an ihren Grundpositionen fest. Sollten sie das aufgeben, würde auch sie beliebig werden.

Die Demokratie verliert mit den Volksparteien einen ihrer wichtigsten Pfeiler. Weil parallel auch die klassischen Medien zunehmend durch Informationen aus den Echoräumen des Internets ersetzt werden, droht ein weiter Pfeiler wegzubrechen. Der politische Diskurs ist freilich nicht weniger geworden, auch nicht weniger engagiert. Das sieht man an der gestiegenen Wahlbeteiligung, auch an der Mobilisierung, die die AfD erfährt, ebenso ihre Gegner. Der Diskurs findet nur anders statt. Spontaner, emotionaler, unberechenbarer, verführbarer, auch unversöhnlicher. Wie demokratische Systeme damit umgehen, ohne unterzugehen, das wird die große Frage der Zukunft sein.

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